Das „Schwarze Quadrat“ von Malewitsch, die Sex Pistols, Oliver Stones Film „Natural Born Killers“ – vieles von dem, was früher mächtig Skandal gemacht hat, ist inzwischen längst ein Klassiker. Aber es gibt auch den umgekehrten Fall. Manches, das zu seiner Entstehungszeit als aufregend galt, erweist sich später als schlecht gealtert; es ist zum bloßen Dokument geworden. Die zerfließenden Uhren von Dali – sind die eigentlich nicht doch recht kitschig? Und das Spätwerk von Heinrich Böll – ist es nicht ebenso obsolet wie die erbitterten ideologischen Grabenkämpfe der siebziger Jahre?
Auch bei den prachtvollen neuen Ausgaben von Robert Crumbs „Fritz the Cat“ und Guido Crepax’ „Valentina“ lautet die Frage: Wie lesen sich diese Werke heute? Beide Zeichner gehören einer Generation an. Crumb wurde 1943 geboren, der 1933 geborene Crepax verstarb 2003. Beide begannen Mitte der Sechziger, Comics zu machen, die stark vom libertären Geist dieser Ära geprägt sind und zuvor undenkbar gewesen wären – noch in den Achtzigern setzte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften mehrere Publikationen von Crepax auf den Index.
Der Ruf, den „Fritz the Cat“ genießt, beruht auf gerade 15, zwischen 1964 und 1972 entstandenen Geschichten. Allerdings ist nur ein Drittel mehr als einige Seiten lang; ein paar One-Pager sind auch darunter. In „Hier kommt Fritz“ besucht der Kater zum Auftakt seine Mutter auf dem Land und treibt es bei dieser Gelegenheit gleich mit seiner kleinen, drallen Schwester. In „Ein Groupie geht aufs Ganze“ ist Fritz ein Rockstar, der ein Vogelmädchen, das ihn verfolgt, mit Haut und Federn auffrisst. Zum Schluss, in „Fritz the Cat Superstar“, ereilt ihn dann sein Schicksal: Er wird von einer eifersüchtigen Verehrerin mit einem Schraubenzieher erstochen.
Im Grunde geht es Crumb hier mit gar nicht klammheimlichem Vergnügen immer nur um das eine: Er lässt den Kater sich als asoziales und dauergeiles Monster aufführen. Das war seinerzeit ein Schock, nicht zuletzt weil diese anthropomorphe Tierwelt der dreckige, subkulturelle Gegenentwurf zu den sauberen Disney-Comics war, in denen Sex und Gewalt nicht die geringste Rolle spielen durften. Dieser Effekt hat sich nun jedoch stark abgenutzt – nicht dass Fritz sympathisch geworden wäre, aber wer Gangster-HipHop und „Game of Thrones“ gewöhnt ist, der findet das wüste Treiben, das hier gefeiert wird, auch nicht mehr völlig ungewöhnlich.
Sehr deutlich wird im Gegenzug, wie sehr „Fritz the Cat“ ein Frühwerk ist. Erst in „Superstar“ hat Crumb sich zeichnerisch ganz gefunden; erst hier besitzen seine schraffurreichen Bilder jene sagenhafte, fast reliefartige Plastizität, für die er berühmt ist. Was die Schilderung von Trieben und Obsessionen angeht, sind seine autobiografisch inspirierten Arbeiten, mit denen er in den frühen Siebzigern anfing, viel differenzierter. Dass er Fritz sterben ließ, hatte daher wohl nicht nur damit zu tun, dass ihn der Rummel nervte, den Ralph Bakshis Zeichentrickversion des Comics ausgelöst hatte: Crumb war dieser Figur vielmehr künstlerisch entwachsen.
Nur wenig später als „Fritz the Cat“ betrat „Valentina“ die Bühne der Erwachsenen-Comics. Die junge Frau ist eine italienische Fotografin. In „Die Lemnos-Kurve“, ihrem ersten, 1965 erschienenen Abenteuer, deckt sie zusammen mit dem amerikanischen Kunstkritiker und Galeristen Phil Rembrandt ein Mordkomplott im Rennfahrer-Milieu auf. Phil wird ihr Partner, außerdem besitzt er eine Doppelidentität: Mit paranormalen psychischen Kräften ausgestattet, bekämpft er unter dem Namen Neutron das Verbrechen. Weitere Abenteuer konfrontieren Valentina und Phil immer wieder mit den „Unterirdischen“, einem Volk, das in den Tiefen der Erde lebt. Die Plots in „Valentina“ sind fast immer teils trivial, teils arg konstruiert oder sprunghaft-verworren. Gern dienen sie auch als Vorwand, die Heldin – oder andere weibliche Figuren – zu entkleiden und in bizarren Bondage-Posen zu zeigen.
Aber das ist eben nicht alles. Zu einer spannenden Lektüre wird der Comic durch die diversen Elemente, mit denen Crepax ihn anreichert und die ihn zu einem hybriden, schillernden Gebilde jenseits von Genregrenzen machen.
Ein wiederkehrendes Motiv sind Partyszenen; die schicken Interieurs und die Gesprächsfetzen zeugen von den künstlerischen und intellektuellen Interessen der damaligen In-Crowd. Die Liebe des Zeichners zum Jazz und den klassischen amerikanischen Zeitungscomics ist ebenso erkennbar wie sein berufliches Vorleben als erfolgreicher Werbegrafiker. Und schließlich gibt es auch einen verdeckt autobiografischen Zug: Phil Rembrandt ist physiognomisch Crepax nachgebildet, während dessen Ehefrau Louisa – die sich zur Doppelgängerin des Stummfilmstars Louise Brooks stilisierte – das Vorbild für Valentina abgab.
Ein guter Zeichner im konventionellen Sinne war Crepax nicht. Um korrekte Proportionen, sei es bei der menschlichen Anatomie, sei es bei Raumverhältnissen, kümmert er sich wenig, und seine Figuren haben oft eine marionettenhafte Steifheit. Aber er ist ein Meister im Umgang mit der Tusche; wie er große schwarze Flächen und feine schwarze Linien zu kombinieren weiß, das ist von einer großen Eleganz. Zu seinen Markenzeichen gehört das Arbeiten mit zum Teil sehr kleinen, rechteckigen oder quadratischen Panels, die einen Vorgang in viele Teile zerlegen und mitunter auf merkwürdige Weise den Eindruck entstehen lassen, die Zeit stehe still.
Crepax hat bis in die neunziger Jahre an „Valentina“ gezeichnet. Die Geschichten in den beiden Bänden, die jetzt vorliegen, stammen alle aus der Zeit bis 1972. Die mit Abstand beste ist die kürzeste und untypischste. In „Das standhafte Mädchen aus Papier“ ist die Heldin noch ein Kind, das sich in Andersens Märchen vom Zinnsoldaten hineinträumt. Imagination und Wirklichkeit gehen nahtlos ineinander über, und auf diesen zehn Seiten gelingt Crepax ein einfühlsames, geniales Comic-Äquivalent zur Bewusstseinsstrom-Prosa der literarischen Moderne.
Robert Crumb: „Fritz the Cat“
Aus dem amerikanischen Englisch von Heinrich Anders. Reprodukt Verlag, Berlin 2017. 128 Seiten, 29 Euro
Guido Crepax: „Valentina“ & „Valentina Underground“
Aus dem Italienischen von Günter Krenn und Paolo Caneppele. Avant-Verlag, Berlin 2015 und 2016. 208 bzw. 222 Seiten, jeweils 34,95 Euro
Dieser Text erschien zuerst in: taz