Borg mcenroe

Borg McEnroe

(DK/SWE/FIN 2017; Regie: Janus Metz)

Die Dämonen in uns

Durch das Gitternetz der Saiten eines Tennisschlägers blickt der viermalige Wimbledon-Gewinner Björn Borg aus dem Jahr 1980 nach unten auf den Zuschauer im Kinosaal des Jahres 2017. Die untersichtige Großaufnahme lässt den Tennisspieler, der kurz davor steht seinen fünften Sieg auf dem Londoner Grün davonzutragen, überlebensgroß erscheinen. Doch den Zügen seines Gesichtes ist zu entnehmen, dass er dieser Hierarchie nicht gewachsen ist, weshalb der prüfende Blick auf die Saiten des Tennisschlägers wie ein Blick durch Gefängnisstäbe anmutet. Dass Borg nicht nur dieses erste Bild des Filmes gehört, sondern sein Name im Filmtitel ebenfalls an erster Stelle rangiert, unterstreicht die Situation, in der er sich mit seinen 24 Jahren befindet, zusätzlich: Er ist der Star der Tenniswelt, doch damit auch gewaltigem Druck ausgesetzt. Zugleich beschreibt der Filmtitel (und in gewisser Weise auch das den Protagonisten einengende erste Bild), wie sein Kontrahent, der zum damaligen Zeitpunkt erst 21-jährige Rüpel John McEnroe, hinter Borg langsam aber sicher ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt und dem „Eisborg“ den Rang abzulaufen droht.

Entlang dieser Ordnung hangelt sich der dänische Regisseur Janus Metz in seinem Film „Borg McEnroe“, um im Rahmen der zweiwöchigen Vorbereitung auf das berühmte Wimbledon-Finale 1980 das Psychogramm zweier nur auf den ersten Blick ganz und gar unterschiedlicher Spieler zu entwerfen. Dabei führt er das öffentliche Aufmerksamkeitsgefälle auch auf dramaturgischer Ebene weiter. Der Schwede Borg steht im Zentrum der Betrachtung, während sein Kontrahent in der ersten Hälfte des Filmes die eindeutige Nebenrolle zugeschrieben bekommt. Immer geht es nur um Borg, beklagt der aufstrebende McEnroe in einer US-Late-Night-Show. Und tatsächlich wird seine Rolle erst mit dem Näherrücken des Finalspiels stärker, gewährt der Regisseur uns dann auch Einblicke in dessen Gedankenwelt. Und bei aller Rivalität, die der Film über die Parallelmontage zu erzeugen vermag, wird sehr schnell deutlich, dass beide Spieler der Umgang mit den inneren Dämonen, die ihre dunklen Schatten aus der Vergangenheit bis ins gleißend helle Sonnenlicht des Tenniscourts werfen, vereint. Während wir Borg als einen sich selbst bis ins Manische kontrollierenden Menschen erleben, der immer im selben Auto fährt, im selben minimalistischen und keinerlei Ablenkung bietenden Hotelzimmer schläft und sich immer auf dieselbe Art für ein Spiel vorbereitet, um seinen Ängsten den Raum zu nehmen, wird McEnroe als Gegenpol inszeniert, der Hotelwände bekritzelt, dabei laut Musik hört und sich an keinerlei Regeln zu halten scheint. Auf und neben dem Platz ist es gerade sein unorthodoxes Verhalten, das ihm hilft, die Dämonen lautstark zu vertreiben. Und in einer Szene, in der Borg McEnroes Spiel am Fernsehgerät analysiert, wird dem schwedischen Spieler ihre Ähnlichkeit bewußt, wenn er hinter den Wutausbrüchen McEnroes nicht Unsicherheit, sondern Konzentration erkennt.

Im Tennis, so beschreibt es Andre Agassi in seiner Autobiografie „Open“, ist man wie in keinem anderen Sport auf einer Insel. Selbst der als einsam geltende Boxer im Ring hat seinen Trainer in der Ecke. Doch auf dem Court gibt es niemanden, mit dem man reden kann und darf, wenngleich man umgeben ist von Menschen. Im Sport – und das langwierige Tennisspiel steht vielleicht ganz exemplarisch dafür – kämpft man nicht gegen einen Gegner. Man kämpft im Grunde genommen die ganze Zeit gegen sich selbst, gegen die eigenen Dämonen. Selten ist der Gegner einfach nur der bessere Spieler. Vielmehr scheitert man am eigenen Geist, an den eigenen Ängsten, die sich häufig aus der individuellen Sozialisation und Erziehung speisen. Genau deshalb schauen wir sportliche Ereignisse dieser Art so gern. Es geht nicht nur um Sieg oder Niederlage, Macht und Geld, sondern darum zuzuschauen, ob und wie die Rivalen auf dem Platz ihre inneren Dämonen stellvertretend für uns bezwingen. Und für diese Seite des Sports interessiert sich Janus Metz in „Borg McEnroe“.

Dementsprechend wenig beschäftigt sich der Regisseur mit der für Sportfilme typischen Inszenierung von Bewegung. Das Athletische und die Darstellung des kraftvollen Körpers bleiben nahezu außen vor. Die Tennismatches werden in kurze Bildeinheiten zergliedert, selten sieht man einen zusammenhängenden Ballwechsel in aller Ausführlichkeit. Das dynamische Gegeneinander wird in ein energetisches Jeder-für-sich aufgeteilt. Jeder Schnitt ist wie das Netz in der Mitte des Platzes selbst. Zwei Seiten (oder eben zwei Bilder) werden zusammengeführt und bleiben doch streng voneinander getrennt. In jedem Blick von Sverrir Gudnason ist die unterdrückte Anspannung Borgs zu spüren und in jeder Bewegung Shia LaBeoufs steckt die kaum zähmbare Energie eines John McEnroe. Beide Darsteller sind deshalb trotz ihres Alters die ideale Besetzung für diese Charaktere. Ihnen will man als Zuschauerin folgen.

Aber so gut Montage und Hauptdarsteller auch sein mögen, in der Bombast-Inszenierung und der eindringlich um Beachtung ringenden musikalischen Untermalung verliert sich die Grundkonstellation des Filmes in allzu seichter Küchenpsychologie, die mit Rückblenden in die Kindheit und Jugend eine klischeebeladene Ursachenforschung betreibt. Mit viel Tamtam stellt sich der Film somit selbst ein Bein, gibt die Intimität des Blickes auf das Sportlerdasein zugunsten eines übertriebenen Spektakels auf, setzt auf den Effekt und riskiert somit wiederum Ungenauigkeiten in der Figurenzeichnung. Ganz so, als hätte der Film die gleiche Angst, die auch Björn Borg umtreibt, nämlich in Vergessenheit zu geraten, ist er (John McEnroes Auftreten nicht unähnlich) lauter, als er es nötig gehabt hätte.

Benotung des Films :

Ricardo Brunn
Borg McEnroe - Duell zweier Gladiatoren
(Borg McEnroe)
Dänemark, Schweden, Finnland 2017 - 100 min.
Regie: Janus Metz - Drehbuch: Ronnie Sandahl - Produktion: Jon Nohrstedt, Frederik Wikström Nicastro - Bildgestaltung: Niels Thastum - Montage: Per Sandholdt, Per K. Kirkegaard - Musik: Vladislav Delay, Jon Ekstrand, Carl-Johan Sevedag, Jonas Struck - Verleih: Universum Film - FSK: ohne Angabe - Besetzung: Shia LaBeouf, Stellan Skarsgård, Sverrir Gudnason, Tuva Novotny, Ian Blackman, Robert Emms
Kinostart (D): 19.10.2017

IMDB-Link: www.imdb.com/title/tt5727282/
Foto: © Universum Film