Verkrachte Existenzen retten, Rennen und Preisgelder gewinnen oder menschliche Stars im Galopp durch die Landschaft tragen, so sieht ein Pferdealltag im Kino meist aus. Dass es auch anders geht, zeigte erst im Dezember Monika Treut mit ihrer Coming-of-Age-Story „Von Mädchen und Pferden“ (2014), in der die vierbeinigen Darsteller erstaunlich viel Eigensinn beweisen durften und damit weit mehr waren als bloß eine Metapher menschlicher Bedürfnisse. Ganz ähnlich verhält es sich nun auch mit (Achtung, Verwechslungsgefahr!) „Von Menschen und Pferden“, einer isländisch-deutschen Koproduktion, die auf diversen Filmfestivals bereits für Aufmerksamkeit gesorgt hat und die zudem vergeblich als isländischer Kandidat für die anstehenden Academy Awards vorgeschlagen wurde.
Von typischer Oscar-Kost ist das Spielfilmdebüt des Regisseurs und Drehbuchautors Benedikt Erlingsson dann zugegebenermaßen auch ziemlich weit entfernt, tapfere Pferdehelden wie das Rennpferd Seabiscuit aus dem gleichnamigen Gary-Ross-Streifen von 2003 oder das Halbblut Joey aus Spielbergs „Gefährten“ (2011) sucht man hier vergeblich. Stattdessen widmet sich Erlingssons Film in lose verknüpften Episoden dem Schicksal einer Reihe von meist namenlosen sowie recht stoischen Islandponys, die in einem abgelegenen Idyll aus verschneiten Berghängen, klaren Seen und endlosen Mooslandschaften leben.
Gleich die ersten Einstellungen tasten behutsam aus der Nähe einen Pferdekörper ab, Muskeln, Fell und ein großes schwarzes Pferdeauge beherrschen die Leinwand. Erst danach tritt ein menschlicher Protagonist auf, bezeichnenderweise als Reflexion in der dunklen Pferdepupille: Kolbeinn (Ingvar Eggert Sigurðsson) heißt der Mann, der sich auf geradezu anachronistische Weise herausgeputzt hat, und nun seine weiße Stute sattelt, um der alleinstehenden Solveig (Charlotte Bøving) seine Aufwartung zu machen. Und obwohl die Häuser in dem beschaulichen Tal weit auseinander liegen, ist sich Kolbeinn doch bewusst, dass ihn die Dorfgemeinschaft genau beobachtet, als er über Feldwege zu seiner Solveig töltet – in der Ferne spiegeln die Ferngläser der Zuschauenden das verräterische Sonnenlicht.
Nach einem Kaffeekränzchen mit der Angebeteten, das in seiner adretten Spießigkeit die Dressur des albern trippelnden Pferdegangs fortzusetzen scheint, kommt es dann zur Katastrophe – der obszön baumelnde Pferdepimmel von Solveigs schwarzem Hengst kündigt das Unheil an: Vor lauter Geilheit bricht das Tier aus seinem Gehege aus und besteigt Kolbeinns Stute, als diese ihren Reiter nach Hause tragen soll. Kolbeinn bleibt nichts außer auf dem Rücken seines Pferds auszuharren, bis das demütigende Spektakel vorüber ist, das sich unter den aufmerksamen Augen des gesamten Dorfes abspielt.
Während dieser skurrile Einstieg noch nahelegt, dass die Tiere in Erlinssons Film in erster Linie als symbolischer Spiegel unterdrückter menschlicher Triebe dienen, so wird diese Lesart von den folgenden Episoden unterwandert. Die Beziehungen zwischen Pferden und Menschen erweisen sich als uneindeutiger und komplexer, die einen sind immer mehr als bloß eine zeichenhafte Wiederkehr der anderen. Ebenso ambivalent gibt sich der brillant bebilderte Film in Hinsicht auf Genre und Tonart: Ein wenig zaghafter Gruselfilm, der ebenso von sozialen wie körperlichen Schrecken berichtet, scheint sich hier mit einer lakonisch distanzierten Komödie zu einem Möbiusband zu verflechten, bei dem Horror und Humor nicht mehr zu unterscheiden sind.
Als Kontext für die zwischen anderen Episoden immer wieder auftauchende Geschichte um Kolbeinn und Solveig erweisen sich diese einander durchdringenden Ansätze, das schonungslose Hineingraben bis tief in die Eingeweide sowie das belustigte Zurückweichen im Angesicht des absurden Treibens, letztlich als überaus passend: Zwischen Zaumzeug und Stacheldraht erzählt der bisweilen abschweifende „Von Menschen und Pferden“ nämlich vor allem und auch ganz treffend von Liebesdingen.