Der Prolog spielt in der (wohl recht nahen) Zukunft: Eine großstädtische Welt, in der Smartphones achtlos auf der Straße herumliegen, die Reste eines Laptops dazu dienen, die Tür eines Ladens aufzuhalten, Schilder von Versorgungsengpässen künden. Dazu erzählt ein Voice-Over, dass es irgendwo wieder Strom geben, irgendwo sogar das Internet wieder funktionieren soll. Wer aber nun meint, dass eine Welt, in der die Technologien, an die wir uns alle so gewöhnt haben, nicht mal mehr als Elektroschrott einen Wert haben und dafür Wasser oder Milch wieder umso begehrter sind, eine postapokalyptische sein müsse, der ist zum ersten Mal auf die unbedingte Cleverness dieses Films reingefallen.
Denn „Transcendence“ ist die erste Regie-Arbeit des Kameramanns Wally Pfister, der zuvor unter anderem für Christopher Nolan arbeitete, der seinerseits hier als ausführender Produzent mitwirkte. Und wer Nolans „Inception“ kennt, für den Pfister übrigens den Kamera-Oscar erhielt, der weiß, was ihn erwartet: hyperintelligentes und – auch visuell – hoch ambitioniertes Blockbuster-Kino. Eine unbedingte Cleverness eben, die man bewundern, aber auch genauso gut ziemlich aufdringlich und nervtötend finden kann (und passend zu einem Film, den seine unbedingte Cleverness zu allerlei Ambivalenzen zwingt, lass ich das auch einfach erst mal so stehen).
Dass also das (vorübergehende?) Ende moderner Technologien, der große Zusammenbruch, der etwa vor der Jahrtausendwende so lustvoll heraufbeschworen wurde, nicht das Ende der Welt, der Menschheit ist, dass viel mehr die Technologie für den Fortbestand der Menschheit geopfert werden wird, ist eine der Pointen von „Transcendence“. (Und dass das ganze Diskurs-Wirrwarr, das ganze hochtechnologische Brimborium der zwei Filmstunden sich in der letztlich trivialen Erkenntnis zusammenfassen lässt, dass der Mensch mit seinem Bewusstsein, seinen Gefühlen mehr ist als Technologie, mehr als die ausgekünsteltste künstliche Intelligenz verstehen kann, legt den Verdacht nahe, dass wir es hier mit einer unbedingten Seifenblasen-Cleverness zu tun haben).
Doch beginnen wir mit dem Anfang: In der Vergangenheit zur Zukunft, die der Prolog zeigt, ist Will Caster (Johnny Depp) ein Wissenschaftler, der daran arbeitet, künstliche Intelligenz zu kreieren. PINN heißt das gigantische Computer-Gehirn, woran er bastelt und das nicht nur „intelligenter“ als alle Menschen von Anbeginn der Geschichte zusammen werden, sondern auch über Emotionen und menschliches Reflektionsvermögen verfügen soll. Will wird Opfer eines Anschlags der R.I.F.T. (Revolutionary Independence From Technology), einer terroristischen Vereinigung von „Technologiekritikern“. Zwar streift ihn die Kugel nur, aber es stellt sich heraus, dass sie in Plutonium getränkt war: Es bleiben ihm nur noch wenige Wochen vor dem sicheren Tod. Seine Frau Evelyn (Rebecca Hall) fasst gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Max Waters (Paul Bettany) einen folgenreichen Entschluss: Sie schließt das Gehirn ihres sterbenden Mannes an den Computer an – und beginnt sein Bewusstsein „hochzuladen“.
Der Tod und die unmittelbare „Auferstehung“ Johnny Depps als Computer-Gott ist die vielleicht beeindruckendste Szene des Films. Einen Moment ist er noch ansprechbar, dann entschlummert er still – während die Monitore im Hintergrund weiter flimmern. Ein bisschen später, wenn Evelyn schon bereit ist, die Maschinen auszuschalten, meldet er sich per Chat zurück. Es geht um das Verschwinden des Menschen in der Maschine. „Transcendence“ nannte Will das Programm, an dem er arbeitete. Aber die Regeln des Science-Fiction-Kinos lehren uns, dass das nicht gut gehen kann. Was Evelyn schafft, ist nichts weniger als ein pantheistischer elektronischer Gott: Schau auf einen Bildschirm und ich werde da sein. Aus jedem Kabel komme ich dir entgegen.
Einerseits nimmt sich der Film vor den Klischees in der Darstellung der Erschaffung künstlichen Lebens in Acht. Johnny Depp spielt Will als zurückhaltenden, etwas menschenscheuen, aber sympathischen Typ, der gut in seinem Job ist – und ein liebender Ehemann. Denkbar weit entfernt also von der Genre-Figur des mad scientist als einem Mann mit besessenem Blick und sonderbarem Haarschnitt, der in Reagenzgläsern giftgrüne Flüssigkeiten mischt. Andererseits ist Frankenstein gleich doppelt und dreifach Referenz – mitsamt dem mehrtausendjährigen mythologischen Ballast, den Mary Shelleys Roman im Untertitel trägt: „The Modern Prometheus“. Wo Will zugleich Schöpfer und Kreatur ist, Frankenstein und Monster – so ist es doch erst seine Frau, die sein Werk vollendet – und vice versa ist es auch wieder er, der ihr die Idee „eingepflanzt“ hat, das nötige Knowhow ist seine Hinterlassenschaft. So wie die Terroristen mit ihrem Anschlag das, was sie bekämpfen wollten, erst vollends zur Eskalation bringen, so stellt Max fest, dass sich die R.I.F.T. bei ihrer Gründung, vor der Radikalisierung, maßgeblich an seinen technologieskeptischen Schriften orientierte. In „Transcendence“ ist jeder eines jeden außer Kontrolle geratene „Schöpfung“.
Dass sich bei dieser Verzahnung von Kräften, die stets das Gute wollen und stets das Böse schaffen, gängige Hollywood-Schemata von Gut und Böse nicht aufrechterhalten lassen, liegt auf der Hand. Großartig ist der Film vor allem dort, wo er es schafft, für seine Ambivalenzen eindrucksvolle Bilder zu finden. Will ist nun in der Lage, Sterbende zu heilen, Blinden das Augenlicht zurück zu geben. Wenn Letzteres gezeigt wird, mit dem extremen Close-Up eines Auges, hält sich die Faszination der Möglichkeiten, die diese Technologie bietet, mit dem Unbehagen, das ein uns leinwandfüllend anblickendes Auge auslöst, die Waage.
Die Dramaturgie verlangt es, dass das Unbehagen irgendwann Überhand nimmt. Was der Computer-Will schaffen kann, ist bald „besseres“ menschliches Leben. Menschen mit ungeheuren Kräften, deren Wunden sofort verheilen. Die Versuchung, eine Armee von Übermenschen zu schaffen, die zentral kontrolliert das organische Leben auf der Erde ersetzen könnte, ist groß. „Transcendence“ begegnet ihr mit der Suche nach der Transzendenz in der Natur, mit Panoramen von friedlichen Waldlandschaften und Großaufnahmen von Wassertropfen. „Biochemie ist Emotion“ behauptet Will einmal. Der Umkehrschluss funktioniert aber gerade nicht. Emotionen sind mehr als Biochemie. Es bleibt ein irrationaler „Rest“ jenseits des (naturwissenschaftlich) Verstehbaren, des Mess- und Errechenbaren. Denn, so sagt es Max: „Menschliche Emotionen sind zu Widersprüchen fähig. Wir können einen Menschen lieben, und dennoch hassen, was er getan hat.“ Gerade in diesem Rest, der den Menschen noch von der intelligentesten Maschine unterscheidet, scheint für den Hollywood-Humanismus dieses Films die Transzendenz zu liegen.
Dazu gehört implizit auch ein Diskurs um die Körperlichkeit des Menschen, von der nicht in Worten, sondern in Bildern erzählt wird. Bei der „Beziehung“ zwischen Evelyn und dem Pinn-Will sehen wir, was wir eigentlich längst wissen: Menschen können einander berühren – und das ist etwas vollkommen anderes, als ein Mensch, der einen Computerbildschirm berührt. Ein Mensch ist kein Touchscreen, möge der Computer der sich hinter diesem verbirgt auch noch so „smart“ sein.
Der Film hält sich in seinen Diskursen geschickt von realen Ideologien fern. Mit denjenigen, die, aus fundamentalistisch christlicher Perspektive etwa, gegen den Eingriff des Menschen in die Schöpfung wettern, den Lewitsharoffs dieser Erde, will er nichts zu tun haben. Dass das, was bleibt, ein irgendwie vages Fortschrittsunbehagen ist, ist durchaus symptomatisch dafür, wie seine Ambivalenzen ins Schwammige kippen. Aus Angst, das „Falsche“ zu sagen, sagt er lieber nichts Genaues.
Dieses clevere Alles-richtig-machen-wollen findet auch in der Form seinen Widerhall. Erstaunlich lange wird der Ball relativ flach gehalten. Geht es gerade darum, weiterzudenken, was Computer heute schon können, muss der Film dabei nicht unentwegt zeigen, was sie heute schon können. Für seine Figuren, ihre Konflikte und Dilemmata interessiert er sich, zumindest die ersten anderthalb Stunden lang, wesentlich mehr als für die gängige CGI-Effekt-Orgie, das kraftmeierische Erschaffen digitaler Welten. Dass er schließlich im Finale doch ins große Spektakel kippt, dass es auch ziemlich rührselig wird, wenn im entscheidenden plot point der Mensch wieder aus der Maschine „befreit“ wird, legt Zeugnis davon ab, wie er zielgruppenübergreifend alles richtig machen will. Ein Film mit Herz, Verstand und Krawumm. Da ist für jeden potenziellen Cineplex-Besucher etwas dabei.
Man verstehe mich nicht falsch: „Transcendence“ bietet zwei Stunden spannende, bewegende, gut gespielte und überdurchschnittlich intelligente Blockbuster-Unterhaltung. Um aber wirklich der große Film zu sein, der er unverkennbar gerne wäre, hätte es wohl etwas weniger Cleverness gebraucht – und dafür etwas mehr Mut.