Zu den unbekanntesten Filmen des US-amerikanischen Regisseurs Martin Scorsese gehört “The King of Comedy” (1982), und das, obwohl daran dasselbe Erfolgsduo beteiligt war, das mit „Taxi Driver“ (1975), „Wie ein wilder Stier“ (1980), später mit „Goodfellas“ (1990) oder „Kap der Angst“ (1991) zu internationalem Ruhm gelangt war: Martin Scorsese und Robert De Niro.
Es ist immer noch alles so wie im „King of Comedy“. Wenn Harald Schmidt oder Thomas Gottschalk auf die Bühne kommen, gibt es eine Erkennungsmelodie, einen Ansager, eine Showtreppe, eine Hausband und ein feistes Grinsen. Deutsche Fernsehunterhaltung ist amerikanische Fernsehunterhaltung. 20 Jahre nach Kuhlenkampff und Carrell ist das, was wir früher belächelt haben, zum unausweichlichen Standard geworden.
Im amerikanischen „The King of Comedy“ gibt es zwei Arten, auf das amerikanische Entertainment zu reagieren: Entweder man liebt den Entertainer bis zum Durchdrehen, man will ihn mit Haut und Haaren besitzen, oder man will selbst der Entertainer sein, selbst heraus kommen auf die Bühne und so geliebt sein wie er.
Fans und Epigonen haben gemeinsam, dass sie mit Liebe nichts aus ihren realen Biografien verbinden können, dass es keine Eltern gab, die sie liebten oder von denen sie geliebt wurden. Der „penetrant biedermännische“ (Kölner Stadtanzeiger) Entertainer mit der gummiartigen Gestik Jerry Langford (Jerry Lewis) eignet sich zum Vaterersatz, Fantasie-Geliebten oder Vorbild.
Ein Soziopath mit dem unmöglichen Namen Rupert Pupkin (Robert De Niro) ist der Typ B, der selbsternannte kommende „King of Comedy“, der Langford bis ins peinlichste Detail kopiert. In seinem Kellerstudio plaudert er Prime-Time-gemäß mit den lebensgroßen Pappfiguren von Langford („Ich liebe diesen Burschen. Ist er nicht wundervoll?“) und Liza Minelli, und in seiner Phantasie geht er mit Langford dinieren.
Dabei denkt der reale Langford an alles andere, als mit einem verrückten Fan und Pseudokomiker auch nur zu sprechen. Deshalb nutzt Pupkin einen Massenandrang auf den Star, um ihn und sich in dessen Limousine zu retten. Als der ihm erklärt, als Komiker müsse man ganz unten anfangen, antwortet Pupkin: „That’s exactly where I am“. Und außerdem sei er schon 32 und da habe er keine Zeit mehr, noch lange auf den Durchbruch zu warten. Deshalb müsse er sich ihm bei Gelegenheit mit seinem Programm vorstellen.
Die Kommunikation schlägt gründlich fehl. Was Langford Pupkin eigentlich vermitteln will, ist, dass er nicht für ihn zuständig ist (oder sein will), sondern sein Büro, das wiederum das Büro einer Produktionsfirma ist. Die „Firmenpolitik“ wird Pupkin später von einem Sicherheitsbeamten erklärt, indem er ihn zum Ausgang schleift.
Da Pupkins Tagträume seine Handlungen beeinflussen, steht er eines Tages mit einer arglosen Freundin unangemeldet in Langfords Landhaus, als sei er ein geladener Gast. Von Langford wird er unmissverständlich hinausgeworfen. Langsam lernt Pupkin: Der lustige Kumpel von nebenan ist wirklich nur ein TV-Format und hinter der Fassade des Komikers steckt ein reichlich humorloser Mann, der (mit gutem Grund) ständig bestrebt ist, seine Privatsphäre zu schützen.
Doch nun aktiviert Pupkin kriminelle Energien. Um nur einen einzigen Auftritt in der „Jerry-Langford-Show“ zu erzwingen, entführen er und die besessene Langford-Fanatikerin Masha (De Niro mit ihrer neurotischen Power voll ebenbürtig: Sandra Bernhard) Jerry Langford, und sie erreichen sein Ziel. Lieber einen Tag lang König sein, als ein Leben lang Bettler, rechtfertigt der neue „King of Comedy“ die Untat, und dann kommt er in den Knast.
Rupert Pupkin, eine der intensivsten Figuren De Niros (der Scorsese zum Projekt „The King of Comedy“ überredete) überhaupt, ist natürlich ein weiterer Bruder der Verlierer Travis Bickle („Taxi Driver“) und Jake La Motta („Wie ein wilder Stier“), eine Art pervertierter letzter Idealist, der irgendwie noch an die Verheißungen des Amerikanischen Traums glaubt und doch gleichzeitig ahnt, dass jemand wie er keine Chance hat. Dabei sind beide, der Star und sein Nachahmer, Ausdruck einer übergreifenden, allgemeinen Oberflächlichkeit. Das Zauberwort heißt Popularität, der Zauberort ist die Showbühne; wie man dahin gekommen ist oder was man dort produziert, ist nicht so wichtig wie einfach da zu sein.
Scorseses Film ist in dem Maße symphatischer, da realitätsnäher, je weniger Sympathieträger er beherbergt. Es wäre ja auch zu schön, wenn das Upper oder Lower New York der beginnenden 80er noch einfache, ungebrochene und nette Individuen hervorbringen, wenn nicht schon jeder den Widerspruch auch im eigenen versehrten Herzen tragen würde. Es gibt keinen Sympathen, auch wenn De Niros Unbeirrbarkeit, zu Langford vorgelassen zu werden, genauso verstehbar ist wie Jerry Lewis’ Bemühungen, ihn auf Distanz zu halten. Die Hauptrolle des Films spielt letztlich das Medium Fernsehen in seiner Eigenschaft als zynische Unterhaltungsindustrie, als Produzent und Projektionsfläche von Illusionen, und das, was das Fernsehen aus seinen Fans und auch aus seinen Stars macht, ist sein Thema.
Trotz all seiner Kulturkritik ist der Film äußerst unterhaltsam, temporeich, mit grandiosen Schauspielern besetzt (Jerry Lewis spielt diesen Komiker, dem er ja auch im normalen Leben sehr ähnelt, bewundernswert unbeschönigend), hellwach, sarkastisch, sogar tragisch, aber gleichzeitig wohl der witzigste, den Scorsese jemals gedreht hat, weil er sich immer wieder ironisch im Genre Komödie bedient. Wenn De Niro im Langfordschen Büro vom Aufsichtspersonal gejagt wird, ist das chaplinesker Slapstick: Die Kamera guckt nur durch eine Tür: Da rennt er von rechts vorbei, die anderen hinterher, da poltert was, da flucht einer, dann kommt er von links und die anderen wieder hinterher. Wenn De Niro mit einer lächerlich überdimensionierten Sonnenbrille aus dem Auto steigt, um Lewis zu kidnappen, verliert er als erstes die Pistole (eine Spielzeugpistole, der man das auf zehn Meter Entfernung ansieht). Jerry Lewis ist so nett – oder so doof -, auch noch darauf zu warten, bis De Niro die Pistole wieder aufgeklaubt hat und ihn auch fachgerecht entführen kann; und das alles auf offener, belebter Straße. Wenn Sarah Bernhard mit einer schwungvollen Handbewegung den reichlich gedeckten Tisch leerfegt, weil sie mit dem zu einer Mumie in Klebeband eingewickelten und entführten Lewis mal etwas „völlig Verrücktes“ anstellen will, wird zum Scheppern der Gläser ein Katzenschrei eingeblendet – weit und breit keine Katze.
„The King of Comedy“ ist für mich ein Nachweis, dass je jünger beide, Scorsese und De Niro, waren und je eher ihre Filme in New York spielten, sie desto besser wussten, wovon sie in ihren Filmen sprachen, weil beide genuine New Yorker sind, und weil dieses New York, Drehort aller drei Filme („Taxi Driver“, „Raging Bull“, „The King of Comedy“ – zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch der frühere „Hexenkessel“(1973)), auch im „King of Comedy“ eine heimliche Hauptrolle spielt. Aber der Film ist auch ein Beispiel für Scorseses ungezwungene Experimentierlust, für seinen anarchischen, intelligenten Spaß im Umgang mit der Kinogeschichte; und das, ohne dabei den roten Faden zu verlieren.
Wenn auch gelacht werden darf im „King of Comedy“: der Film legt großen Wert darauf, dass er beißt. Rupert Pupkin kommt heraus auf die Bühne, im grellkarierten Sakko, mit diesem schmierigen Grinsen, mit diesen abgezirkelten Bewegungen, als hätte er diesen Job schon immer gemacht. Er macht einen Witz: verhaltenes Gelächter, noch eine Pointe, und endlich lacht und klatscht das Publikum. Hat jemand das „Applause“-Schild gehoben? Findet es das Studiopublikum wirklich witzig, wenn Pupkin erzählt, er sei buchstäblich durch seine Schulzeit durchgeboxt worden? Der beste Scherz aber ist der, wenn Pupkin erzählt, er habe Langford kidnappen müssen, um diesen Auftritt zu bekommen. Die Leute kugeln sich vor Lachen und Pupkin ist der wahre „King of Comedy“.