Der Film beginnt zwischen den Zahnrädern eines Uhrwerks. Und die Zeit wird in mehrfacher Hinsicht sein Thema bleiben. Gleich mit den ersten Szenen werden zwei Zeitebenen etabliert. Die erste handelt von Peter Parkers Eltern, die ihn einst, warum erfahren wir zunächst nicht, bei seiner Tante und seinem Onkel abgaben, um aus dem Land zu fliehen. In der zweiten, der Gegenwart der Handlung, muss Spider-Man wieder mal die Welt retten, was in diesem Fall heißt, dass er einen Gangster zu stellen hat, der versucht, sich mit einem Truck mit gestohlenem Plutonium aus dem Staub zu machen. Der Peter Parker/Spider-Man (Andrew Garfield) des 2012 eingeleiteten Reboots der Serie ist auch darum bemüht, die beiden Zeitebenen zur Synthese zu bringen. Er ist auf der Suche nach der verlorenen Zeit seiner Kindheit, möchte die dunklen Flecken seines Familienromans beleuchten und das Rätsel ergründen, warum ihn seine Eltern einst im Stich ließen.
In der (vielleicht etwas zu) furiosen Auftaktsequenz wird unter anderem ein ganzer Fuhrpark der New Yorker Polizei zu Schrott gefahren, was, so eindeutig „The Amazing Spider-Man 2“ in der aktuellen Schwemme an Superhelden-Filmen verwurzelt ist, an die frühen Zeiten des Blockbusters und namentlich an die „Blues Brothers“ erinnert. Und weil es zu dieser Tradition gehört, seine liebgewonnenen – inzwischen volldigitalen – Spielzeuge zu Bruch gehen zu lassen, wird im Showdown auch ein Uhrwerk in seine Bestandteile zerbersten.
Über der Beziehung von Peter Parker zu seiner Freundin Gwen Stacy (Emma Stone) liegt als Schatten der Vergangenheit das Versprechen, das Peter ihrem sterbenden Vater am Ende des ersten Teils gab, sie aus seinem Verbrechensbekämpfer-Trouble rauszuhalten. Die gute Gwen wird ihre liebe Mühe haben, zwischen der Übereinkunft zwischen Männern und so viel geballtem Beschützerinstinkt ihren eigenen Weg zu finden.
Das Reboot der Serie hatte es bei Fans vielleicht auch deshalb schwer, weil es nur fünf Jahre nach dem letzten Teil der Raimi-Trilogie startete. Man hatte sich gewöhnt an das Film-Paar Tobey MacGuire und Kirsten Dunst und vielleicht nicht zuletzt an den Look der Filme von Sam Raimi, der sich von je her darauf verstand, Filmen verschiedenster Produktionsgrößen und Genres seinen eigenen stilistischen Stempel aufzudrücken. Eine der Innovationen der Neuauflage gegenüber den Raimi-Filmen ist, dass Garfields Spider-Man mit einem losen Mundwerk ausgestattet ist. Ehe er die bösen Jungs (übrigens nie: bösen Mädels) fertig eingesponnen der Polizei überlässt, hat er immer noch Zeit für ein paar One-Liner.
In den Action-Szenen arbeitet Regisseur Marc Webb wie schon im Vorgänger immer wieder mit extremen Zeitlupen, mit der Illusion, die Zeit anhalten zu können. Die Kamera gleitet bisweilen zwischen für Augenblicke beinahe starr in der Luft hängenden Gegenständen und Menschen über die Schauplätze. Wo aber im ersten Teil das perfekte Timing noch für den einen oder anderen denkwürdigen Moment sorgte, stellt sich hier eher Übersättigung ein. (Die Szene, in der Emma Stone am Ende zwischen Uhrwerkteilen durch die Luft gleitet, bildet eine erwähnenswerte Ausnahme.)
Natürlich braucht ein Superhelden-Blockbuster auch noch Antagonisten. Diese sind in „The Amazing Spider-Man 2“ ein ehemaliger Bewunderer Spider-Mans und ein ehemaliger Freund Peter Parkers. Ersterer ist der OSCORP-Hausmeister Max Dillon (Jamie Foxx), der für seine Umwelt so unsichtbar ist, dass ihn eine kleine Aufmerksamkeit Spider-Mans zu dessen glühendem Verehrer machen kann. Als ihn jedoch ein Unfall in Electro verwandelt, den Starkstrom-Schurken, der seinen großen Auftritt hat, als er den nächtlichen Times Square verwüstet, stiehlt ihm der Spinnenmann sofort wieder die Show, was reicht, um Bewunderung in Hass umschlagen zu lassen. Letzterer ist Peters alter Schulfreund Harry Osbourne, dem sein verhasster Vater nicht nur die Führung des OSCORP-Imperiums vermachte, das übrigens neuerdings für die Stromversorgung New Yorks zuständig ist, sondern auch eine unheilbare Krankheit. Seine letzte Hoffnung sieht er in Spider-Man bzw. einer Transfusion von dessen Blut. Als ihm dieser den Gefallen verwehrt, weil er keine Ahnung hat, welche Wirkung eine solche Blutspende haben könnte, zieht er sich ebenfalls seinen Zorn zu, von dem der chronisch vernachlässigte Sohn aus ultrareichem Hause mehr als genug hat. Wie unvermittelt hier aus alten Freunden erbitterte Feinde werden, macht hinsichtlich der 140 Minuten Laufzeit schon etwas ratlos. In die Figurenentwicklung wurde die Zeit jedenfalls nicht investiert.
Im Showdown gibt es, die Tradition des Vorgängers aufgreifend, einen Todesfall und die letzte Szene bietet keinen Abschluss, sondern einen Cliffhanger zu Teil Drei. Der Gegenspieler Rhino sieht verlockend aus und außerdem wird man dort nochmal zweieinhalb Stunden Zeit haben, um zu richten, was hier doch eher im Argen blieb.