In seinem Essay „Notes on Charlie Sheen and the End of Empire“ beschreibt der Schriftsteller Bret Easton Ellis einen Paradigmenwechsel, den er in der Celebrity-Kultur unserer Tage auszumachen glaubt. Laut Ellis zeichnet sich das Dasein und die erfolgreiche Vermarktung als Star seit dem Jahr 2005 immer mehr durch eine schamlose Transparenz aus, die die eigene fucked-up-ness annimmt und zelebriert und sich damit gegen die Verlogenheit der alten Strukturen, des Empire, richtet. Empire sind Ellis zufolge etwa Bob Dylan, Tom Cruise und Tiger Woods. Post-Empire sind beispielsweise Lady Gaga, Kim Kardashian und eben Charlie Sheen, weil sie nicht nach den alten Regeln spielen, welche Gegensätze wie authentisch/künstlich, privat/öffentlich oder richtig/falsch konstruieren. Das Post-Empire ist ein System der Nivellierung, in dem E und U, Mainstream und Subkultur, Dafür und Dagegen zusammenfallen und als Kategorien irrelevant werden.
Bereits 2003 erschien „Tamala 2010 – A Punk Cat in Space“ in Japan, aber der Film ist immer noch Gegenwart wie wenig anderes (von Michael Bays „Transformers“-Reihe einmal abgesehen, aber „Tamala 2010“ hat den Vorteil, konsequenter und clever zu sein). Protagonistin ist das Kätzchen Tamala, ewig jung und ein Star in ihrer Katzen-Parallelwelt. Und man kann es nicht anders sagen: Tamala ist Post-Empire. Sie ist radikale Individualistin, hedonistisch und asozial und dabei eine Werbeikone, deren Konterfei jedes Produkt des Megakonzerns CATTY & Co. ziert. Von den Massen für ihre Niedlichkeit bejubelt zu werden und einem kleinen unschuldigen Katzenkind einen heftigen Karatekick ins Gesicht zu verpassen, bilden hier keinen Widerspruch, sondern sind Teil eines Images. Und mehr als ein Image ist Tamala nicht mit ihren sinnfreien Slogans („‚Juhu!‘ heißt ‚Ich werde dich töten.‘“) und dem Trademark-Augenklimpern. Selbst ihre Romanze mit Kater Michelangelo und die Suche nach ihrer Mutter muten als austauschbare Accessoires oder folgenlose Modifikationen im Lebenslauf einer Videospielfigur an, weniger als Motivation zum Denken und Handeln oder Antrieb einer inneren Entwicklung.
„Tamala 2010“ erzählt nichts, der Film ist mehr ein chaotischer Pop-Katalog, eine faszinierende Bestandsaufnahme der postmodernen Konsumgesellschaft. Da trifft Oscar Wildes Kunstmärchen „Der glückliche Prinz“ auf Josef Schumpeters Theorie von der schöpferischen Zerstörung, der Schwarzweiß-Look von Felix the Cat auf knallbunte 3D-Computergrafiken und die kawaii-Ästhetik von Hello Kitty auf den rauen Ton von Fritz the Cat. Die wilden Assoziationen und endlosen Zitate des Films lassen dabei nicht bloß Pluralismus und Demokratie durchscheinen, sondern erwecken bisweilen den Eindruck von Beliebigkeit und Zufälligkeit bis hin zum Abwegigen. Die Diegese von „Tamala 2010“ kommt damit Brechts Beschreibung des Kapitalismus als „Große Unordnung“ nahe und illustriert eindringlich Marx’ Idee von der Verrücktheit als Moment der Ökonomie. Nicht nur die Ästhetik des Films, auch seine Produktion spiegeln den postfordistischen Kapitalismus unserer Tage wider. Erdacht vom Künstlerduo t.o.L. und dann mit simpler Standard-Software von einem fünfköpfigen Team animiert und produziert, ist der Film das Resultat von Einzelwillen. Hinter „Tamala 2010“ steht kein Masterplan oder planwirtschaftliche Überlegungen, der Film spottet geradezu Marx’ Ausspruch von der Überlegenheit des schlechtesten Baumeisters über die beste Biene. Da sind der fragmentarisierte Plot und das offene Ende nur konsequent, selbst die an Pynchon angelehnte Verschwörungstheorie um eine mysteriöse Katzensekte bietet keine Auflösung oder eine Ordnung unter der wirren Oberfläche, sondern ist bloß eine weitere Verrücktheit, ein Versatzstück unter vielen im postmodernen Chaos, das Intensität Rationalität vorzieht.
Wer nun aufgrund des bisweilen düsteren und ironischen Tons von „Tamala 2010“ wie mancher Kritiker Kulturpessimismus oder eine konsumkritische Haltung (Empire!) zu entdecken glaubt, der übersieht, mit welcher Lust der Film sich die Bilderproduktionen von Hollywood übers Musikvideo bis zum Videospiel aneignet, um seine Totalherrschaft der Ökonomie zu bebildern. Wenn überhaupt, ist „Tamala 2010“ Konsumkritikkonsum, denn wie die japanische Website zum Film verrät, soll das Kätzchen Tamala auch in der Menschenwelt zur globalen Markenikone werden. Das TAMALA2010PROJECT entwickelt sich zum riesigen Merchandise-Imperium mit der Punkkatze als „Super Idol“, vermarktet als Comic, Film, Musik und Game wie einst Lara Croft. Juhu!