2013 wird für den koreanischen Regisseur Park Chan-Wook ein gutes Jahr. Im Herbst darf man auf Spike Lees Remake des Rächerdramas „Oldboy“ gespannt sein; diese Woche kommt seine erste Hollywood-Regiearbeit „Stoker“ in die Kinos. Park gehört mit seiner Vorliebe für Pulp und Gewalt zu den eher schwer berechenbaren Filmemachern (Quentin Tarantino und Harmony Korine sind Fans), weswegen „Stoker“ vorsichtshalber auf einem amerikanischen Skript basiert. Wer Parks letzten Film „Thirst“ über einen Priester, der sich nach einer missglückten Blutinfektion in einen Vampir verwandelt, gesehen hat, kann nachvollziehen, dass man das westliche Mainstream-Publikum behutsam an den sonderlichen Lyrismus eines Park Chan-Wook, der auch schon mal Blutfontänen zu heißen Liebesschwüren arrangiert, heranführen muss. „Stoker“ dürfte allein schon wegen der beiden Hauptdarstellerinnen mehr Menschen interessieren als seine bisherigen Filme. Für sein Hollywood-Debüt konnten Nicole Kidman und Mia Wasikowska gewonnen werden: zwei ätherische Schönheiten, deren weiße Alabasterhaut sich ganz hervorragend als Leinwand für Parks Blutfantasien eignet.
Leider ist „Stoker“ etwas konventionell geraten, was vor allem am Drehbuch liegt, das sich unverhohlen bei Hitchcocks „Im Schatten des Zweifels“ bedient. Um Blut geht es in „Stoker“ nur noch in einem übertragenen Sinn: Park erzählt ein kleines, bösartiges Familiendrama als Schlüsselmoment eines sexuellen Coming-of-Age. Nach dem überraschenden Tod des Vaters bleiben Ehefrau Evelyn und die achtzehnjährige Tochter India allein mit dem Dienstpersonal in ihrem pompösen Herrenhaus zurück. Am Tag der Beerdigung steht unerwartet der Bruder des Verstorbenen, den die Frauen nur vom Hörensagen kannten, vor der Tür. Der gut ausehende Fremde findet sofort Anklang in dem hoffnungslos verklemmten Haushalt und nimmt die Einladung Evelyns, eine Weile zu bleiben, dankend an. Mutter und Tochter reagieren zunächst reserviert, doch je aufmerksamer der Mann sich Evelyn zuwendet, desto mehr regt sich Indianas Verlangen. Dass auch noch die Schwiegermutter unvermittelt im Haus auftaucht und wieder spurlos verschwindet, scheint niemanden zu verwundern.
Visuelle Extravaganzen finden in diesem restriktiven Ambiente keinen Raum. Park verlegt sich stattdessen auf die stimmungsvolle Psychologie des häuslichen Dramas – mit einigen Anleihen beim klassischen Psycho-Thriller. Damit beweist er erneut ein gutes Händchen für Atmosphäre, doch ein bißchen mehr vom Irrsinn seiner koreanischen Filme hätte “Stoker” durchaus vertragen. Parks US-Debüt ist die Antithese zu seiner Rache-Trilogie und “Thirst”: humorlos, gefangen im Skript und kontrolliert bis zum Ersticken. Selbst die latenten Gewaltausbrüche besitzen keine karthatische Qualität mehr.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Pony #83