Rhona (Brooke Bloom) arbeitet als Surrogatpartnerin. Sie schläft gegen Bezahlung mit Männern, um ihnen, als Ergänzung einer Psychotherapie, dabei zu helfen, ihre Angst vor Intimität und Körperkontakt zu überwinden. Die Professionalität, mit der sie ihren Job verrichtet, gerät zusehends ins Wanken, als Johnny zu ihr in Behandlung kommt: gutaussehend, klug, beruflich erfolgreich – und in höchstem Maße autoaggressiv. Als Rhona sich in Johnny (Marc Menchaca) verliebt, verliert sie zunehmend die Kontrolle über die Situation.
Regisseurin Anja Marquardt ist in ihrem Regie-Debüt zunächst sichtlich bemüht, jedes gängige „Huren“-Stereotyp zu vermeiden. Rhona ist gebildet, sie kommt aus bürgerlichen Verhältnissen, sie kleidet sich seriös, mitunter geradezu bieder. Psychologisches Einfühlungsvermögen ist für ihren Job wesentlich wichtiger als übermäßig schön, geschweige denn sexy zu sein. Relativ zu Beginn wird in gnadenlosen Großaufnahmen, die jeden Leberfleck sichtbar machen, gezeigt, wie sie sich Injektionen in den Bauch setzt. Ob sie etwa Diabetikerin ist oder doch drogenabhängig, bleibt lange offen. Dass es damit eine ganz andere Bewandtnis hat, erfahren wir viel später. (Ein gutes Beispiel für den Kontrollwahn dieses Films, der den Zuschauer da abholt, wo er ist, nur um ihn dann genau dort hinzubringen, wo er ihn haben möchte). Wenn sie nach ihrer Arbeit gefragt wird, weicht sie aus, bzw. sagt wahrheitsgemäß, dass sie vorhabe, ihren Master zu machen. Die korrekte Berufsbezeichnung „sexual surrogate“ hört man in dem Film genauso wenig wie die Worte „prostitute“, „hooker“ oder jedes andere denkbare Synonym.
In der Unfähigkeit zur Intimität sieht der Film mitnichten ein individualpsychologisches Problem der behandelten Männer. Rhona unterhält sich in verschiedenen Szenen mit einem Mann per Skype. Zunächst könnten wir ihn für einen Klienten halten, dann für einen ziemlich nervigen Ex-Freund, schließlich stellt er sich als ihr Bruder heraus, der ihr mitteilt, ihre Mutter sei verschwunden und sie mehrmals bittet, ihn einmal zu besuchen. Ansonsten bestehen ihre „sozialen Kontakte“ aus Zwiesprachen mit dem Psychiater, dem sie assistiert, ihrer älteren Kollegin (und einzigen Freundin) Irene, unfreundlichen Handwerkern, ihrem Anwalt. Ein hilfloser Versuch, Kontakt zu einer etwas jüngeren Nachbarin aufzubauen. That’s it.
Übrigens: mit den Spritzen friert Rhona ihre Eizellen ein, weil sie vielleicht irgendwann mal Kinder haben möchte. Das Leben als Wartesaal. Warten auf Familie oder Karriere oder Liebe oder irgendwas.
Dass der Film in New York spielt, sieht man eigentlich nur in wenigen Einstellungen: Ein Stück verschwommene Skyline durch ein Fernster gefilmt, die typischen spitz zulaufenden Wassertanks auf den Dächern. Ansonsten: Lange Hotelflure, die Zimmer, in denen Rhona ihrer Arbeit nachgeht, geschmackvoll, steril. Anonyme, monochrome Straßen. Beton, Spiegelungen von Menschen im Glas. Eine gesichtslose und tote Stadt, die vom (filmischen) Großstadtdschungel vergangener Dekaden kaum weiter entfernt sein könnte. Hier wuchert nichts mehr. Alles Leben ist sorgfältig parzelliert, eingetopft wie die Pflanzen auf dem Dach, die Rhona einmal mit Irene pflegt, eingezwängt zwischen Betonwände – wie der Mann, der in einer Szene relativ zu Beginn in einer Ecke onaniert, klein, am unteren Bildrand. Ein durchaus treffendes Bild für den Verlust von Intimität, um den es geht. Überhaupt, wie das „befriedete“ und durchgentrifizierte New York nach Giuliani und 9/11 dargestellt wird, als unwirtlicher und lebensfeindlicher Ort, leuchtet mir durchaus ein. Nur leider ist in diesem Film alles so exakt durchdacht und kontrolliert, dass er sich genausowenig entfalten kann, wie die Menschen in dieser Stadt. Die Frau, die in einer Nicht-Stadt ein Nicht-Leben mit einer Nicht-Arbeit und Nicht-Beziehungen führt, das alles ist viel zu sehr, viel zu eindeutig ausgeklügeltes Konzept, als dass man sich wirklich damit auseinandersetzen müsste.
Dass der Film auf einen Beziehungsversuch zwischen Rhona und Johnny hinaus will, ist schnell klar, dass das nicht gut gehen wird, auch. Allerdings verliert der Film mit dem entscheidenden plot point dann auch zunehmend die Kontrolle über die Botschaft, die ihm doch so am Herzen liegt. Es soll wohl um absolute körperliche und geistige Entfremdung gehen, um eine entmenschlichte Lebenswelt, in der jede Beziehung, die den Warenwert der Menschen und ihrer Körper auf dem Arbeitsmarkt transzendieren würde, keinen Platz hat. Dass das wenig originell ist, ist dabei das kleinere Problem. Das viel größere ist, dass der Film nichts tut, um zu verhindern, dass der Zuschauer es sich wesentlich einfacher macht. Dass er eine andere – nun wieder individualpsychologische – Lesart ermöglicht, nach der der psychisch kranke Mann einfach nur ein gemeingefährlicher Irrer ist, und die Frau, die sich in vollkommen unprofessioneller Weise auf ihn einlässt, auch zumindest ein bisschen selbst schuld ist an der Gewalt, die ihr widerfährt.
Bleibt ein souverän inszenierter und erzählter, aber letzten Endes sehr zwiespältiger Debüt-Film, der guten Ansätzen keinen Raum lässt sich zu entfalten. Wenn die Regisseurin lernt, im entscheidenden Moment die Kontrolle zu behalten und in anderen einfach mal los zu lassen, kann da durchaus noch was kommen.