Atafeh und Shirin rasen durch das nächtliche Teheran. Weil diese Stadt anders nicht zu ertragen ist und das bildungsbürgerliche Zuhause für die beiden Freundinnen immer weniger Schutzraum als geschmackvoll eingerichtete Gruft ist; draußen die patriarchalische Diktatur und drinnen Muttis erstarrtes Lächeln und ein gut gestimmtes Klavier als Zentrum des liberalen Familienkosmos. Als Ausweg: Verliebt sein ineinander. Tagträume, die aussehen wie Parfümwerbung. Ein paar Drogen. Und immer wieder Pop: anglophonen von Bonnie Tyler bis Le Tigre, aber auch persischen Hip Hop. Ein Ausweg ist das dann aber doch nicht, mehr ein hilfloses Pendeln zwischen Transgression und Repression, das Aufbegehren von politisch Illusionslosen, die nicht von San Francisco träumen, sondern froh sind, wenn sie es gemeinsam rüber nach Dubai schaffen. Hier versuchen zwei, ihr individuelles Glück gegen die Deutungshoheit von Staat und Familie zu behaupten, ein betrunken gegröltes „Auf Hollywood!“. Resignifikation und Aneignung. Fucking Iran.
Maryam Keshavarz‘ Spielfilmdebüt setzt immer wieder auf Melodramatisches: Die Geschichte (auch wortwörtlich ein Melodram: Handlung mit Musik) einer Emanzipation wird anhand einer bemerkenswerten mise en scène erzählt; die Farbdramaturgie macht Rot- und Blautöne zu Protagonisten, der Soundtrack rhythmisiert die Handlung und jeder Raum schreit heraus, was die Fassade lieber verschweigt. Zugegeben: Der Film ist nicht nur Melodram (ich behaupte, es sind aber mindestens 6/10 des Films), ein bisschen scheint Keshavarz das Künstliche, Pathetische und Exzessive abmildern zu wollen, indem sie immer wieder auch betont nüchterne Bilder im Sozialdrama- und Doku-Look liefert. Auf diese springt dann auch ein nicht geringer Teil der Kritiker_innen an und findet den Film dann trotz der melodramatischen Einschübe ganz gut: Authentizität, Abbild-Realismus und die Message überzeugen, Melodram bleibt hier Schimpfwort.
Ein Grund für die zwiespältigen Meinungen zu „Sharayet“ mag im Film selber liegen, der stellenweise einfach wirr und überladen ist. So reich er an Ideen ist, so unmotiviert wirkt mancher Einfall. Allein die Figur des Mehran, Atafehs fundamentalistischem Bruder und persönlichem Big Brother, ist eine Katastrophe und wirkt als überstrapazierte Allegorie wie ein Fremdkörper. In seiner Gestalt stolpert dann auch immer wieder etwas arg Thesenhaftes in den Film und ruiniert die subversive Trivialität so mancher Szene. Die Reduzierung des Films auf Statements oder eine Eins-zu-eins-Übersetzung von Realitäten wird dem Film aber ebenso wenig gerecht wie reflexartige Querverweise auf die Arabellion. Ihm das Melodram auszutreiben, um Bedeutung aus ihm zu destillieren, hieße nicht nur ihm die Haut abzuziehen, sondern auch sein Skelett zu zertrümmern. Spannender als in Keshavarz‘ Teheran-Simulation nach Bestätigung von Allgemeinplätzen à la „Im Iran werden Frauen unterdrückt“ zu suchen, dürfte es ohnehin sein, nachzuspüren, mit welchen Mitteln hier Bedeutung überhaupt erst produziert wird und sich auf die komplexe Ästhetik des Melodrams einzulassen.