Manchmal scheint es ratsam, sich ohne allzu viele Vorinformationen ins Kino zu setzen und sich vom Film auf eine Reise mitnehmen zu lassen. So zum Beispiel vom neuen Film von Francois Ozon, der im Original so schlicht wie präzise „Le refuge“ heißt. Er erzählt eine Novelle in Kleistscher Manier, berichtet von einer unerhörten Begebenheit. Es beginnt im Elend, das von Reichtum kündet. Der Dealer bringt neuen Stoff zum nicht mehr ganz jungen Paar, das sich in einer Pariser Wohnung von ungeheurer Größe »eingerichtet« hat. Louis ist ein Sohn aus bestem Hause, während die Herkunft seiner Geliebten Mousse ungeklärt bleibt, aber von Louis‘ Familie offenbar als Mesalliance gewertet wird. Nun, ein paar Minuten später hat sich Louis den goldenen Schuss gesetzt – und Mousse überlebt, obgleich sie den gleichen Stoff geschossen hat.
Im Krankenhaus erfährt sie, die Trauernde und Süchtige, dass sie schwanger ist. Louis‘ Mutter macht Mousse bei der Trauerfeier, auf der sie sich ohnehin wie eine Fremde bewegt, unmissverständlich klar, dass Nachwuchs von Louis nicht erwünscht ist. Es wirkt fast als Bockigkeit, dass Mousse sich entschließt, das Kind zur Welt zu bringen. Sie zieht sich in ein kleines Haus an der Atlantikküste zurück; der Gärtner Serge unterstützt sie im Alltag mit Besorgungen. Hatte Francois Ozon bislang alle Segel in Richtung Melodram gesetzt, so wechselt er jetzt radikal den Kurs und liefert eine sehr lässige Sommergeschichte á la Rohmer. Louis‘ jüngerer Bruder Paul, der bereits während der Trauerfeier sensibles Verständnis für die Trauernde gezeigt hatte, kommt zu Besuch. Mousse begrüßt ihn reserviert bis abweisend. Doch Paul ist charmant – und schwul. So wie Serge. Gemeinsam verbringt das Trio viel Zeit zusammen und Mousse, von der wir eigentlich nur sehr wenig wissen, schärft ihren Blick auf die Dinge, der ihr in der Drogenhöhle, die sie mit Louis teilte, abhanden gekommen war.
Ozon erzählt diese Geschichte von der Wiedergewinnung der Welt mit der gebotenen Distanz. Dabei geht es ihm jedoch gerade nicht um eine Ode an das Glück der Mutterschaft, wie sie in trivialeren Filmen angestimmt würde. Eher als beim Ungeborenen ist Mousse mit den Gedanken noch bei Louis, trinkt Methadon wie Hustensaft. So schwer es ihr fällt, eine Beziehung zum Kind zu entwickeln, so leicht scheint dies anderen zu fallen. Als Paul einmal eine Kirche besucht, entgeht ihm nicht, dass es dort nicht nur einen Marienaltar, sondern auch einen Josefsaltar gibt. Gerade einmal 90 Minuten dauert „Rückkehr ans Meer“ und es ist schon erstaunlich, welchen Weg Ozon hier zwischen Tod, Trauer, Geburt und Glück, zwischen Hoffnungslosigkeit und Zukunftsperspektive zurücklegt – ohne auf eine Botschaft zuzusteuern.
Es mag sein, dass man das in seiner Lakonie dann doch überraschende Ende als Anklang einer sexualpolitischen Utopie interpretieren kann. Doch mindestens so sehr handelt der Film vom neugierig-faszinierten Blick der Kamera auf den Körper, den Bauch einer Schwangeren. So legt man gemeinsam mit Mousse und Paul eine erstaunliche Reise zurück, wiewohl der Film das Flair einer sommerlich-entspannten Zeitverschwendung atmet. „Rückkehr ans Meer“ ist im Oeuvre Ozons wohl eher ein schnell hingeworfenes Nebenwerk, das Resultat einer günstigen Gelegenheit; dass es in seiner Gediegenheit und Profiliertheit dennoch überzeugt, belegt den Rang dieses mutig aufs Existentielle zielenden Filmemachers.