Etwa in der Mitte des Films ist Kristen Stewart da, wo sie schon zu Beginn von Olivier Assayas Vorgänger „Clouds of Sils Maria“ war: in einem Zug. Wo sie allerdings dort mit gleich mehreren Telefonen jonglierte, um die privaten und beruflichen Termine ihrer Chefin, einer von Juliette Binoche gespielten Schauspielerin, zu koordinieren, ist sie hier mit nur einem iPhone beschäftigt. Kurz nachdem sie in einem leerstehenden Landhaus nahe Paris einen – in gleichen Teilen beeindruckend und altmodisch animierten – Geist gesehen hat, tauscht sie mit einem Unbekannten Kurznachrichten aus. Die SMS-Unterhaltung, die sich über mehr als eine halbe Stunde Erzählzeit erstreckt – während Maureen mit dem Zug von Paris nach London fährt, in einer Boutique Kleidung für ihre Chefin Kyra (Nora von Waldstätten) kauft und den nächsten Zug zurück nach Paris nimmt – ist einer der schönsten Filmdialoge in einem Film der letzten paar Jahren. Und zwar, weil der Film das Medium des Mobiltelefons und die Sprache, die es hervorbringt, in ihrer Alltagsbanalität bedingungslos ernst nimmt, eine Art ganz eigene Poesie der Textnachrichten entwickelt.
Dass man schließlich erfährt, wer sich hinter dem anonymen Gegenpart dieser Unterhaltung verbirgt, ist eine bewusst gesetzte Enttäuschung. Die Auflösung kann schließlich gar nicht so spektakulär sein wie die lange aufrecht erhaltene Annahme, dass es sich um einen Kontakt mit dem Jenseits handelt, der die geistige (Omni-)Präsenz von Menschen bei gleichzeitiger physischer Abwesenheit, die mit den Technologien der Gegenwart einhergeht, konsequent und naheliegend ins Unheimliche überführt.
„I want you and Iwill have you/ Not physically/ To make contact/ First.“ schreibt ihr der Unbekannte. Über den Dialog legt sich damit auch eine erotische Spannung, die Möglichkeit eines sexuellen Kontakts mit einem mysteriösen Unbekannten. Maureen fährt in Kyras Wohnung, probiert die noblen Kleider an, die sie für dieses erstanden hat, schickt ein Foto von sich. Beim Umziehen sind – zum zweiten Mal im Film – ihre nackten Brüste zu sehen, doch um die Sexualisierung seiner Hauptdarstellerin für begehrende (männliche) Blicke geht es Assayas und seinem Kameramann Yorick Le Saux, mit dem er seit „Boarding Gate“ (2007) immer wieder zusammengearbeitet hat, nicht. Vielmehr baut der Film zu Maureen, der einsamsten aller Assayas-Heldinnen, eine große Intimität auf, die keine Close-Ups braucht. Schließlich masturbiert sie im Kleid und Bett ihrer Chefin, während die Kamera durch die Tür verschwindet, in einen benachbarten Raum gleitet und nur noch ihr Stöhnen zu hören ist. Ganz deutlich ist sie hier nicht Objekt, sondern Subjekt eines Begehrens, das längst keinen klar definierten Gegenstand mehr zu haben scheint (einen Freund hat Maureen zwar wohl auch, aber dass er nur zwei Mal als Chatpartner auf dem Bildschirm ihres Computers zu sehen ist, spricht Bände).
Der Plot, den der Film betont langsam in seinen Dialogen entwickelt, in kleinen Informationshäppchen, deren gemeinsamer Nenner ist, dass sie die Gegenwart und unmittelbare Vergangenheit der Protagonistin beleuchten, dreht sich um die Mittzwanzigerin Maureen, die in Paris festsitzt und wartet. Ihr Zwillingsbruder ist vor drei Monaten an einer Herzerkrankung, von der auch sie betroffen ist, verstorben, und sie hatte einst die Verabredung mit ihm getroffen, dass wer auch immer von den Beiden zuerst stirbt, der oder dem Verbleibenden ein Zeichen aus dem Jenseits geben würde. Was das Warten nicht eben versüßt, ist ihr Job als personal shopper für das reiche und arrogante Mode-Starlett Kyra.
Thematisch schließt der Film an das vorherige Schaffen Assayas‘ an. Auch hier geht es um Mobilität, Entwurzelung, Sprache, den alltäglichen Umgang mit neuen Medien. So bewegt sich Maureen, die an einer Stelle sagt, dass sie nicht den leisesten Schimmer hat, wo sie in sechs Monaten sein wird, mit dem Roller, dem Auto, dem Flugzeug oder eben dem Zug in und zwischen Paris, London und schließlich Oman, hantiert mit Handys und Laptops, interagiert mit sozialen Netzwerken, Suchmaschinen und Chatprogrammen.
Allerdings ist die Figur einerseits deutlich introvertierter angelegt als zum Beispiel die der Protagonistin in „Clouds of Sils Maria“. Spielte sie bereits dort eine Frau, die in ihrem Assistentinnen-Job am Rande der Welt von Geld und Glamour stand, ohne dieser doch wirklich anzugehören, so ging es dabei doch zumindest noch um die undurchsichtige, zunehmend diffizile Beziehung zweier Frauen, während sie hier vollkommen auf sich selbst gestellt ist. Ein einziges Mal versucht sie vergeblich, persönlichen Kontakt mit Kyra aufzunehmen, die in der wohl skurrilsten Szene des Films nunmehr zur reinen Karikatur ihres sozialen Stands verkommt: Während sie gemeinsam mit ihrem Anwalt in einer Telefonkonferenz wichtige Dinge klärt – es geht dabei, warum auch immer, um Gorillas! – macht sie auf ihrem Bett sonderbar anmutende Dehnübungen und hat für den störenden Eindringling in der Tür nur eine verscheuchende Handbewegungen übrig.
Andererseits überführt der Filmemacher seine bekannten Themen dabei auch konsequent ins Übernatürliche und führt damit in die globalisierte Welt mit ihren immensen Menschen-, Geld- und Datenströmen eine letzte frontier ein, die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Toten. Die direkten Reminiszenzen ans Genre-Kino, vor allem durch das Motiv des haunted house, bilden in „Personal Shopper“ nur die Spitze des Eisberges einer Welt, die, in klaustrophobischen Scope-Einstellungen eingefangen, durch und durch gespenstisch ist. Die Kamera entwickelt eine Art Hypersensibilität für das Unheimliche im Alltäglichen. Das unmotivierte Öffnen und Schließen einer automatischen Tür. Die kleinsten Veränderungen auf dem stets angespannten Gesicht der Hauptdarstellerin. Gegenstände, die sich, winzig im Bildhintergrund zu sehen, (wohl nicht nur wie) von Geisterhand bewegen. Dass es, bei allen Anknüpfungspunkten zur urbanen Wirklichkeit der Gegenwart, Assayas mitnichten um einen Realismus geht, der als Kontrapunkt zu den übernatürlichen Elementen des Films funktionieren könnte, zeigt sich vor allem in dem weit verbreiteten Glauben aller Figuren an das nicht rationell Erklärbare. Die Menschen, die zu Wort kommen, glauben nicht jede Geschichte über Geister und Begegnungen mit ihnen, die sie hören, aber sie glauben wohl alle, dass es nach dem Leben irgendwie weiter geht. Niemand erklärt Maureen, die ihrerseits vollkommen offen mit dem umgeht, was sie umtreibt, für verrückt, wie man es mit den ProtagonistInnen diverser Horrorfilme vor ihr tat. Der Zugriff von „Personal Shopper“ auf Filmgeschichte geschieht, was ein besonderes Schmankerl für einen Aspect Ratio-Fetischisten wie mich ist, unterdessen auch dadurch, dass der Film verschiedene Seitenverhältnisse durchgeht, die von Bedeutung für das Medium waren oder sind. So wird ein Youtube-Video von einer Seance aus den Sechzigern, das sich Maureen ansieht, im Bildformat 4:3 im Scope-Bild des Films mit schwarzen Rändern an den Seiten wiedergegeben (und damit eben nicht ganz leinwandfüllend). Auf den gängigen 16:9-Bildschirmen ihres Handys und Laptops sind die schwarzen Balken dann einfach etwas schmaler.
Es passt zu diesem im vielfachen Sinne phantastischen Film, dass er mit einer Frage endet, die auf den Ursprungs alles Unheimlichen zielt, und die er gar nicht erst vorgibt, beantworten zu können. Der Frage nach der Beschaffenheit dieses flüchtigen, in unentwegter Veränderung begriffenen, fragilen Etwas, das wir als Ich bezeichnen.
Dieser Text ist zuerst gekürzt erschienen auf: Perlentaucher.de