Das Paradies ist eine Pyjamaparty mit Flaschendrehen und verbotenen Schokoriegeln. Die Hölle ist der Drill im Diätcamp, aber so richtig anhaben kann er den Kindern nichts. Es ist ein sympathischer Zug von Realityschockfilmer Ulrich Seidl, dass er Skrupel hat, seine Teenagerprotagonistin ähnlichen Qualen und Abgründen auszusetzen wie deren weibliche Verwandte, die im Mittelpunkt der anderen Teile seiner „Paradies“-Trilogie stehen und gleichermaßen zu Peinigerinnen und Gepeinigten werden. Doch damit ist der letzte Teil auch der harmloseste und von der Realität am weitesten entfernte. Während die Mutter ihr Glück im Sextourismus sucht (siehe Paradies: Liebe') und die ultrakatholische Tante im herausragend beklemmenden „Paradies: Glaube“ missionieren geht, verliebt sich Melanie in ihren Ferien unglücklich in den Diätarzt. Mitleiden ist, anders als sogar bei der sich selbst geißelnden Fanatikerin, schwer möglich, denn dass aus dieser Schwärmerei nicht mehr wird als ein Traum im Märchenwald, macht eben: Hoffnung.
Eher belustigend wirken die schön komponierten, symmetrischen Bilder der anachronistisch wirkenden Schikanen zur Körpernormierung. Gilt die Erkenntnis der Jugendlichen, dass mit Erwachsenen keine Kommunikation möglich ist, auch für ihr Verhältnis zum Regisseur? Hätte er, getreu seinem Motto, „die Absicht der Inszenierung mit dem Zufallsprinzip in Verbindung“ zu bringen, seine jungen Protagonistinnen noch mehr Raum für ihre starken Improvisationen gelassen, hätte er vielleicht mehr über die Qualen einer Teenagerexistenz in der Jugendgruppenhölle erfahren.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 5/2013