Mit »Nightmare 3 – Freddy Krueger lebt!« kommt der Filmheld endgültig in die Kinocharts. Ihm ist das zu gönnen, denn er ist schon ein toller Typ; ein Gruftiefreak; umso stärker als er ekliger ist. Wenn er grinst, überlappen sich die 18 Schaumlatexteile der Gesichtsmaske. Seine Haut ist total verbrannt. Das hat ihm die Bürgerwehr der Elm Street angetan. Freddy Krueger war Opfer einer mittelständischen Lynchaktion. Jetzt schlägt er wieder zurück, fast allmächtig. Freddy Krueger lebt in einem Tagtraum allererster Güte; das macht allen Hoffnung, die aktiv werden möchten, maskiert oder vermummt, gewalttätig.
Ein Film ist es, der dazu etwas zu sagen hat – und keineswegs ein dafür zuständiges Gremium. »Nightmare 3« ist ein Horrorfilm und ein herausragendes Exempel seiner Gattung. Nichts weiter. Aber grade deswegen gucken wir uns denjenigen etwas genauer an, von dem mit drohendem Unterton gesagt wird, dass er lebe. Der Film lebt seinerseits. Man spürt es, dass einer frisch und unbefangen im Horror-Eilmgenre herumfuhrwerkt und sich seine eigenen Spielregeln macht (»Nightmare 3« ist Chuck Russels Regiedebüt). Also gibt es in »Nightmare 3« trotz des Titels – nicht nur die branchenüblichen Regressionen des Alptraums. Denn Freddy Krueger ist clever. Hinter seiner Bürgerschreckvisage arbeiten die grauen Zellen, und die haben es rausgekriegt, wie man problemlos im Innersten der Mittelklassenschicht herumwüten kann, nämlich in den Nachtträumen der Kinder und Jugendlichen, die in ihren sauberen Bettchen schlafen. Wieder muss ein Krueger-Opfer zwecks stationärer Versorgung in die jugendpsychiatrische Abteilung der städtischen Klinik gebracht werden. Die Kinder der Lynch-Eltern sind samt und sonders des Wahnsinns, d. h. Kruegers fette Beute. Suizidgefährdet nennt man das.
Freddy Krueger schiebt sich mit seiner Kunstkralle (Klingenlänge ca. 10 cm) den breitkrempigen Hut aus der Stirn und grinst sich eins. Meist sehen wir ihn in dem alten Pullover mit den dicken Querstreifen, an den Rändern ausgefranst. Wenns sein muss, arbeitet er aber auch im Schrittbandslip. Die sexy Krankenschwester holt sich den jugendlichen Patienten, der bislang im Elternhaus sexuell behütet war, in den Behandlungsraum; schon turnt sie im besagten Slip auf dem ratlosen bis geschockten, jedenfalls ziemlich passiven Jungen herum; schließlich hat sie seine Zunge im Mund. Das ist selbstredend eine Großaufnahme. Man sieht nur noch Zunge, und die wird von Freddy Krueger – denn er ist es, wer denn sonst – aus dem Mund gerissen, Stück für Stück; meterlang scheint das Ding, und es sieht sehr organisch aus. Die Kamera, die aus ein paar Zentimetern Entfernung draufguckt, nimmt die Perspektive unseres Helden Freddy Krueger ein. Das ist eine eindeutig lustbesetzte Blickrichtung. Man kann gar nicht anders, als sich mit ihr zu identifizieren. Andererseits ist der Junge Opfer einer bösen Vergewaltigung. Die Schockmontage, mit der die Zungen-Großaufnahme eingeführt wird, ist aus der Opfer-Perspektive gemacht. Beides soll zur selben Zeit genossen werden: Lust und Leid, und Freddy Krueger ist der perfekt ambivalente Held. Er macht aus den gemischten Gefühlen, mit dem das jugendliche Publikum, bang und erwartungsvoll zugleich, dem ersten organischen Sexualakt entgegensieht/sah, ein böses Spiel. Wehrlos auf dem Bett, Hände und Füße von sich sehr fleischlich windenden Riesenregenwürmern an die Pfosten gefesselt, von einer Spirale in den roten Schlund gezogen zu werden – , der Film lässt dieses regressive Bild nicht stehen. Wie also wehrt man Kruegers lähmende Traumwaffen?
Der Film entwickelt dazu, und das ist sein Thema, eine Strategie. Krueger muss in den Träumen selbst bekämpft werden (»Dream Warriors« ist der originale Zweittitel). Und das geht nur solidarisch und unter Auflehnung gegen die Erwachsenenautorität. In der Psychiatrie muss zunächst die unerträglich fiese Oberärztin bekämpft werden, die die jungen Patienten am liebsten in den diversen Beruhigungszellen isolieren möchte: hilflose Beute für Kruegers Alptraumorgien. Also werden im Gruppenraum konspirative Sitzungen abgehalten und Verhaltensmaßregeln erarbeitet, um sich dem autoritären Zugriff zu entziehen, nämlich dem von Krueger einerseits, dem der Ärzte, Pfleger und so weiter andererseits. Die Jugendlichen gelangen, dramatisch gestört durch eben diese Autoritäten, zu folgenden Erkenntnissen: Nämlich erstens, dass sie sich von Eltern- und Krankenhaus keine Hilfe versprechen dürfen, sondern sich als Betroffene selbst organisieren müssen und selbst aktiv werden müssen. Zweitens, dass sie nicht eigene Schuld, sondern Schuld ihrer Väter abzuarbeiten haben, die einen Lynchmord auf dem Gewissen haben. Drittens, dass sie die Koalitionsfrage und die Gewaltfrage lösen müssen.
Um jetzt langsam zu dem Punkt vorzudringen, warum ich das hier alles so ausführlich ausbreite, sei an dieser Stelle laut gesagt, dass es sich bei der Gruppensitzung im Gesprächstherapieraum mitnichten um eine Podiumsdiskussion handelt, sondern um eine Veranstaltung, in der alles, was sonst nur mit dürren Worten gesagt werden kann, prall erlebt wird, da Freddy Krueger, wie es der Titel sagt, lebt, und das Kinopublikum so wenig pädagogisch wird, wie die Altersgenossen im Film therapiert werden wollen. Aber zu erfahren ist, dass die Eltern nichts taugen. Zwar lässt sich das Mittelstandsmädchen von Mutti brav zudecken, doch schon muss diese schnell runter in den Livingroom, »Where do you keep the Bourbon?«, fragt eine total unbekannte männliche Stimme, das Töchterchen bleibt allein im Bett, kläglich, da hilft nur noch Freddy Krueger, gegen Ende des Films reißt er der lieben Mutter endlich den Kopf ab und hält ihn an den Haaren vors Objektiv der Kamera, Mama redet unaufhörlich weiter. Oh Freddy, was hast Du gemacht? Jedenfalls hat Freddy sich viel zu spät die Mutter vorgenommen, denn vorher schlitzte er mit seinen Rasiermesserkrallen die Arme des Mädchens auf, was die Erwachsenen nur als Selbstmordversuch zu deuten vermochten.
Ein Bild für die Aussage, dass die Kinder (jedenfalls in »Nightmare 3«) nicht mit der späten Geburt begnadet sind: Auf dem Schrottplatz hat Papa eine Leiche im Auto liegen, ziemlich verwest im Kofferraum. Zu erfahren ist, dass die Kinder davon nicht loskommen. Vater muss ran, ob er will oder nicht (er will nicht), und den Deckel lüften.
Was die Fragen der Koalition und der Gewalt betrifft, so sagen die Bilder des Films eindeutig: ja! Mit der Psychologin können die Kinder ein Bündnis eingehen, weil auch die es raushat, sich mit Schwung in einen Sessel zu setzen und mit Rolle rückwärts im Alptraumhaus aufzustehen, obzwar das für andere Erwachsene nur ein niedliches Puppenhaus ist. Das ist auch inhaltlich logisch, weil Nancy Thompson (Heather Langenkamp) in »Nightmare I« selbst Freddy-Opfer war und daher weiß, dass er kein wegtherapierbares Hirngespinst ist; der Film begnügt sich jedoch noch damit, sie nur als Betroffene vorzustellen, welche in ebensolcher Funktion koalitionsfähig sein dürfe. Er zeigt sie uns als ganzen Menschen, und der ist schwer in Ordnung.
Ja, die Gewalt. Die lässt man, mehr oder minder klammheimlich freudig erregt, von Freddy machen, denn immerhin ist ja auch er, ohne dass auch dies noch gesagt werden müßte, Opfer der Lynchjustiz, das heißt Betroffener, das heißt potentieller Bündnispartner. Das funktioniert immer nur einerseits. Wenn in einer TV-Life-Show Dick Cavett die originale Tsa Tsa Gabor interviewt und dann Kruegers Schlabber- und Grinsefratze aufs Grauenvollste dazwischenfährt, dann, oh Mann, ist das irre.
Doch wenn Krueger damit nur bezweckt, das junge Mädchen vor die Glotze zu holen, es zu packen und in die Szene zu ziehen, dass sie mit dem Kopf in der Röhre steckt, entsetzlich zugerichtet, – ja dann hört der Spaß auf. Und jetzt wird Freddy Gewalt angetan. Jeder kennt die Regeln: Weihwasser ins Gesicht, ein Kreuz vor die Fresse und ein Pflock ins Herz. Die Gewalt dieses Films ist gleichzeitig Aggressionsgebärde und rituelles Spiel. Freddys Ende hat den dekorativen Wert der gängigen Punk & Pop-Accessoires. Ketten, Kreuze, Totenköpfe vom Punkshop bis zur Jugendabteilung bei Hertie: kleine und immer winzigere Verweise aufs Aggressionspotential. Einem wie Freddy Krueger wird gestattet, die Energien zu aktivieren. Zu einem Zweikampf mit ihm tritt im Film ein mit den nötigen Utensilien ausgestattete Punk an. – Die Szene ist im Film nicht eben stark. Es geht nicht ernsthaft um Leben und Tod. Die Accessoires wollen gezeigt und vorgeführt werden. Mit der Gewalt wird gespielt. Wer »Nightmare 3« im Kino sieht, erfährt, wie dumm der ist, der nicht geübt hat, mit Gewalt umzugehen. Dann nämlich kommt der Freddy Krueger, schlitzt dir Füße und Arme auf und lässt dich an deinen eigenen Sehnen als Marionette rumhampeln. Die andern lachen sich kaputt und geben Dir anschließend die Schuld: Mein Lieber, das war Selbstmordversuch! – Eine zynische, deftige Lektion. Nach dem Erfolg zu urteilen, den der Film hat, müssen wir mit vielen neuen Freddy Kruegers rechnen.
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 02/1988