Drei Leute sitzen in einem Pickup und fahren durch die Nacht. Sie sind außer Atem. Nach einer kurzen Weile hören sie das Geräusch einer Explosion, kurz darauf ein etwas leiseres, entfernteres Grollen. Sie freuen sich, denn sie haben soeben ein Loch in einen Staudamm gesprengt.
Die Art, in der diese Szene in etwa der Mitte des neuen Films von Kelly Reichardt geschnitten oder besser ungeschnitten ist, verrät viel über den Stil des ganzen Films. Vordergründig steht der Erfolg oder Misserfolg des Anschlags im Mittelpunkt des Interesses der Figuren, des Films und wahrscheinlich auch der Zuschauer. Tatsächlich gibt sich Reichardt viel Mühe, im Thriller-Genre zu bleiben, indem sie einen regelrechten Wettlauf gegen die Zeitbombe inszeniert, aber in einem Moment, wo nach Genre-Standard eine gewaltige Explosion zu sehen wäre, da bleibt dieser Film bei den Figuren, meistens übrigens bei der Hauptfigur, Josh, gespielt von Jesse Eisenberg, über dessen Bewegungen – und bei ihm sind auch die Bewegungen seiner Gedanken in seinem Gesicht ablesbar – wir die Geschichte, und so wird es besonders seine Geschichte, vor allem vermittelt bekommen.
Es gibt (mindestens) zwei Dramen in „Night Moves“, das eine ist das Aufbäumen dreier relativ junger Umweltaktivisten gegen die Zerstörung der Natur, das andere ist das Dilemma und die inneren Konflikte der Figuren (neben Eisenberg Dakota Fanning und Peter Sarsgaard) mit ihrer nicht nur im Positiven folgenschweren Tat. Davon handelt der lange und eher düstere zweite Teil des Films, über dessen Kernhandlung hier nicht viel verraten werden soll.
Eine Atmosphäre der Resignation und der Stagnation, in fast allen Reichardt-Filmen liegt sie über dem Geschehen; vielleicht ist sie und ihre Vermittlung und Sichtbarmachung sogar eine der zentralen Absichten der Regisseurin, zugleich also eine Sensibilisierung nicht nur dafür, dass die Folgen der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Maximen inhuman und unverantwortbar sind, sondern auch dafür, wie klein der Handlungsspielraum eigentlich nur noch ist, den so genannte Weltverbesserer überhaupt noch haben, mit anderen Worten: Das langsame Verschwinden des Engagements und der Solidarität.
Das war in „Old Joy“ (2005) spürbar, wo sich zwei alte Freunde auf einen Wochenendtrip begeben, um dort festzustellen, dass sie offenbar ihre Träume oder Ideale verloren haben (übrigens viel subtiler, als ich das hier formuliere), in „Wendy und Lucy“ (2008) spürt man förmlich die Kälte einer Gesellschaft, die den Begriff „Freiheit“ nur damit gleichsetzt, dass die Schwachen das Recht darauf haben, alleine vor die Hunde zu gehen und in „Meek‘s Cutoff“ (2010) werden schon in ihrer Klarheit wunderbar exemplarisch die Prinzipien Gewalt/Unterdrückung/Ausbeutung und Vertrauen/Solidarität/Kooperation so einander gegenüber gestellt, dass man quasi anprobieren kann, wie verschieden sie sich anfühlen.
Und nun verhandelt „Night Moves“ anhand dreier radikaler Aktivist/innen, ob und wie heute überhaupt Widerstand funktionieren kann, angesichts, und da ist der Film auf der Höhe unserer NSA-Gegenwart, eines totalen Überwachungssystems, das ja nach Edward Snowdens Aussagen praktisch jeden und alles in der Welt bespitzeln und belauschen kann. Und so ist es folgerichtig, dass das Verhalten Joshs zunehmend von Paranoia diktiert wird, einer Paranoia, die von Beginn an im Film zu spüren ist. Überall sind Überwachungskameras, Handy-Telefonate können verräterisch sein, an jeder Ecke, durch jeden Menschen lauert Gefahr. Das Gefühl wird auch genährt durch den minimalistischen, bedrückenden Soundtrack, der fast durchgehend unterlegt ist.
„Night Moves“ ist ein Film über die schiere Unmöglichkeit, die Welt vor ihrem Niedergang zu retten und ein Film über die Auflösung politischen Widerstandes. Man kann ihn thematisch einreihen in eine Linie mit Filmen wie Antonionis „Zabriskie Point“(1969) oder Bressons „Der Teufel möglicherweise“(1977). Diesen drei Filmen gemein ist übrigens auch, dass zu Beginn ein ideologischer Background vermittelt wird. Bei „Zabriskie Point“ ist es eine verfahrene Diskussion unter streikenden Studenten, bei „Der Teufel möglicherweise“ sorgt die Aufführung eines Umwelt-Dokumentarfilms für die Etablierung des Status Quo, und der gleichen Methode bedient sich auch Reichardt in „Night Moves“. Aber nicht nur ihr Thema ist ähnlich, auch Reichardts Souveränität – und ihr Pessimismus – stehen denen ihrer Vorgänger in nichts nach.