Am Anfang von Julian Schnabels „Miral“ steht das Idyll: In einem Palästina, von dem der Zuschauer glauben soll, dass es noch nicht identisch ist mit der Topographie des „Nahostkonflikts“, feiern Christen, Juden und Muslime ein Weihnachtsfest, das alles kulturell-religiös Trennende verwischen möchte. Um den Weihnachtsbaum tanzt man ausgelassen zu arabischer Musik und die Hausherrin, dargestellt von Vanessa Redgrave als Repräsentantin eines kosmopolitisch-postideologischen Großbürgertums am Rande seines Verschwindens, begrüßt ihre Freunde aller Herkunft und Religion.
Doch dann lässt Schnabel die Zionisten über die vermeintlich paradiesischen Zustände herfallen: Archivbilder von der Gründungserklärung Israels werden gezeigt, Schiffe legen in Palästina an, Menschen strömen von Bord, die Stimme David Ben Gurions schallt im Hintergrund. Das Schwarzweiß des Einspielers will Authentizität suggerieren und stellt sich gleichzeitig in den schärfstmöglichen Kontrast zur rosig-sonnendurchfluteten Ästhetik der heiteren Einleitung. Es sagt: Hier kommen die Zionisten aus dem Grau-in-Grau der Realgeschichte und vor ihnen flieht alles Licht der Utopie. Oder: Der Spielfilm flieht die Archivbilder und schuld an allem sind die Zionisten.
Mag die gedankliche Schlichtheit dieser Einleitung auch noch so peinlich, ihre Form auch noch so billig sein, Schnabels anschließender Versuch, seinen Spielfilm quasi „zurückschlagen“ zu lassen, übertrifft sie regelrecht: Basierend auf einem Roman Rula Jebreals, der Lebensgefährtin des Regisseurs, nimmt „Miral“ die Perspektiven vierer palästinensischer Frauen ein, die sich auf unterschiedliche (und unterschiedlich aggressive) Art gegen die Unterdrückung stemmen, mit der wie eine Heilige porträtierten Kinderheimleiterin Hind Husseini und der Terroristin Fatima als vielleicht extremste Pole. Irgendwo dazwischen stehen Nadia, die als junges Mädchen vor der häuslichen Gewalt flieht, und schließlich die Titelheldin, Miral, Nadias Tochter: Nach dem Tod ihrer Mutter gibt ihr tiefreligiöser Vater sie in das Kinderheim Husseinis, wo sie eine umfassende Schulbildung erhält, welche sie anschließend als Lehrerin auf dem Höhepunkt der Ersten Intifada in die Krisengebiete bringen wird. Hier erlebt sie das brutale Durchgreifen der israelischen Streitkräfte und verliebt sich – natürlich – auf verhängnisvolle Weise in einen jungen militanten Freiheitskämpfer.
Über all dem weht für Julian Schnabel auf ostentativste Art das große Banner eines Friedensappells: Jenen will er den Film widmen, heißt es im Abspann, die unerschütterlich an eine friedliche Lösung des Konflikts glauben. Wer „Miral“ mit offenen Augen anschaut, wird sich die nämlichen ob des zuvor Gezeigten spätestens hier verwundert reiben. Denn die größte Rache, die der Spielfilm an den Archivbildern des Anfangs letztlich nimmt, ist, dass er Israel offenkundig in diesem tristen Geschichtsgrau vergessen möchte: Israel findet in „Miral“ schlichtweg nicht statt. Hier zeigt sich nur das Leiden des palästinensischen Volkes, dem irgendwo außerhalb der Ränder des Filmbildes ein übermächtiger Feind gegenübersteht, der zwar ab und an mit Panzern wirkmächtig durchs Bild rollt und von bornierten Holzköpfen in Uniform repräsentiert wird, dem darüber hinaus jedoch beinahe jedes Menschenantlitz verwehrt bleibt.
Auf unangenehme Weise zeigt sich Schnabels utopistischer Feldzug gegen die Wirklichkeit auch in dem puren Kitsch, der seinen Film durchzieht. Der palästinensische Widerstand ist hier ein Fest der leuchtendsten Farben, in dem bildschöne junge Menschen untereinander fast ausschließlich in makellosem Englisch kommunizieren und ein weiblicher Bollywood-Star der Intifada ein Gesicht mit gezupften Augenbrauen schenkt. So geschmacklos und von Herzen schlecht ist das, dass man beinahe an der Ernsthaftigkeit des ganzen Unterfangens zweifeln möchte – aber natürlich ist das alles sehr aufrichtig gemeint. Ein Film wie dieser mag sowohl das reale Israel, das kein Schwarzweißfilm ist, ignorieren, als auch die Beschaffenheit des Konflikts im Nahen Osten auf Freiheitskämpferromantik im Taschenbuchformat eindämpfen können. Die Geschichte kann es zum Glück nicht.