Bluttriefend kommt die Hand des jungen Mannes aus dem Slip seiner Angebeteten wieder hervor. Kein Menstruationsblut, sondern das Zeichen, dass die junge Frau den Virus hat, der in „Cabin Fever“ (2002), Eli Roths Debütfilm, eine Gruppe von College-Kids dezimiert, die Urlaub in einer Hütte im Wald machen. Die Verschränkung von Begehren und Tod, Verfall und Gewalt zieht sich durch Roths Werk. In seinen wohl bekanntesten Werken, den ersten beiden „Hostel“-Filmen (2005 und 2007, über den dritten, mit dem Roth nichts zu tun hatte, sei hier gnädig geschwiegen) findet sich diese Verbindung in der wirklich erschreckenden Prämisse eines unter dem Deckmantel eines Hostels geführten Clubs in Ost-Europa, der Gutsituierten für Unmengen von Geld die Möglichkeit gibt, ihre sadistischen Phantasien ungestraft ausleben zu können, indem sie entführte Touristen foltern und töten. Das Menschenmetzeln gegen Bezahlung als dreckige große Schwester der (Zwangs)Prostitution.
Es nimmt nun wenig wunder, dass Roths fünfter und aktueller Film ein Remake von Peter Traynors Home Invasion-Reißer „Death Game“ von 1977 ist, in dem ein Geschäftsmann, dessen Familie im Urlaub ist, unverhofften Besuch von zwei jungen Damen bekommt, die an seine Tür klopfen, unter dem Vorwand sich verlaufen zu haben und Zuflucht vor einem Gewitter zu suchen, ihn dann zunächst verführen, um ihn schließlich zu fesseln, seine Wohnung zu verwüsten und immer grausamere Spiele mit ihm zu spielen. Traynors Film bietet eine deutlich in der Zeit des amerikanischen ‚Golden Age of Porn‘ situierte Männerphantasie, die in einen Männeralbtraum von der vollkommen entfesselten, keiner Domestizierung in Ehe und Familie unterworfenen und also Verderben bringenden weiblichen Sexualität mündet (vielleicht ist es etwas komplizierter, vielleicht appelliert der Film an eine männliche Angst-Lust, durch die mann die Möglichkeit hat, ihn masochistisch zu rezipieren. Der deus ex machina, der die beiden Frauen in der letzten Einstellung unsanft aus dem Leben reißt, ist sicherlich auch ein christlicher Gott, der die patriarchale Ordnung (der Sexualität) wieder herstellt).
In Traynors Plot ist neben der Verschränkung von Gewalt und Begehren auch schon der gewisse Twist angelegt, der Roth in seinen Genre-Variationen interessiert. So sind es etwa in „Cabin Fever“ keine kannibalischen Hinterwäldler, Serienkiller oder Dämonen, mit denen es die Ausflügler zu tun bekommen, sondern eben eine todbringende Krankheit. Und die jungen Männer und Frauen in den „Hostel“-Filmen stoßen in der Fremde nicht auf eine archaische, sondern auf eine straff durchorganisierte, den Gesetzen eines völlig entfesselten Kapitalismus gehorchende Barbarei. Mit dem Cameo von „Cannibal Holocaust“-Regisseur Ruggero Deodato in „Hostel II“ wird der Neoliberalismus bis in seine letzte Konsequenz zu Ende gedacht: Die Reichen fressen die Armen (und in diesem Film muss die männliche Angstphantasie von der – bei Roth natürlich ganz buchstäblich – kastrierenden Frau, die sich in „Knock Knock“ nahtlos fortgesetzt findet, in erster Linie unverschämt reich sein, um ihr blankes Leben zu retten). Geradezu klassizistisch in seinem Zugriff auf das Genre mutet dagegen „The Green Inferno“ (2013) an, Roths gleichzeitige Verbeugung vor und Fortschreibung des italienischen Kannibalenfilms der Siebziger und Achtziger Jahre, in dem es um eine Gruppe von universitären Umweltaktivist/innen geht, die feststellen müssen, dass der indigene Stamm im Amazonas, den sie zu retten versuchen, in ihnen nicht mehr sieht, als eine willkommene Mahlzeit.
Im Gegensatz zum Original nimmt sich „Knock Knock“ viel Zeit für alles, was vor der Sex-Szene passiert. Ausführlich wird die Familie von Evan (Keanu Reeves) vorgestellt, bevor sie in den Wochenendurlaub fährt, wobei das glückliche Familienleben bis zur Karikatur überzeichnet wirkt, wie immer bei Roth möchte man auch mit seine „guten“-, seinen Opfer-Figuren keinen Kaffee trinken gehen. Wo der Mann in „Death Game“ sich nicht lange bitten ließ, der Film schnell zur Sache kam, sieht sich Evan den von dem Film geradezu ausgewalzten Übergriffigkeiten in Wort und Tat durch die beiden Frauen, Genesis (Lorenza Izzo) und Bell (Ana de Armas), ausgesetzt, wird durch ihre Ausführungen zu sexuellen Dingen sichtlich in Verlegenheit gebracht und kann sich vor tatschenden Händen kaum retten. Wenn die beiden Frauen Evan schließlich rumgekriegt haben, sehen wir Close-Ups von Brüsten und Händen, von Haut an Haut. Zwischenschnitte zeigen ein übergroßes Portrait von Evan und seiner Familie an der Wand. Die Szene endet mit einem top shot von Evans Villa, auf die der Regen niederprasselt. Die Lust der drei Hauptfiguren wird konterkariert von der Schuld Evans, für die das Familienfoto und der göttliche Blick, der wie die Naturgewalt von oben herab kommt, stehen.
Wie ernst diese religiösen Untertöne zu nehmen sind, die die beiden Frauen zu Racheengeln machen, die Evan für die Transgression des Gebots der Monogamie bestrafen, für sein Begehren, ist relativ schwer auszumachen. Einen weiteren Hinweis auf die Motive der beiden entnimmt „Knock Knock“ dem Original: Bell, die vorgibt, sie wäre erst fünfzehn, gibt Evan, den sie damit der Pädophilie bezichtigt, zu verstehen, sie sei als Kind von ihrem Vater missbraucht worden und nimmt nun stellvertretend Rache an ihm, den sie fortwährend „Daddy“ nennt. Genauso gut kann es jedoch sein, dass sie, anstatt sich „spielerisch“ an ihrem Trauma abzuarbeiten, mit den gängigen psychologischen Erklärungsmustern für ihr Verhalten „spielt“, wie es einst die männlichen Gewalttäter in einem anderen Home Invasion-Thriller taten, in Michael Hanekes „Funny Games“ (1997). Viel wichtiger als die Frage, warum die beiden jungen Frauen tun, was sie tun, scheint die teuflische Lust, die der Film an der Zerstörung, an der puren Anarchie hat, die sie anrichten. Sie legen die protzige, betont geschmackvoll eingerichtete Villa in Schutt und Asche, beschmieren die Wände und die Fotos und Bilder, die an ihnen hängen, zersägen die Skulpturen von Evans Frau, der Künstlerin Karen (Ignacia Allamand), zerbrechen – besonders grausam – vor seinen Augen die Platten Evans, der einst DJ war.
Angesichts des Films, der auf diese Einstellung folgt, erweist sich der establishing shot zu Beginn, der das Hollywood-Schild zeigt, als blanker Hohn. „Knock Knock“ ist eine in Chile gedrehte, mit diversen Partnern finanzierte amerikanisch-chilenische Koproduktion, die, auch wenn es sich Roth nicht hat nehmen lassen, wie immer in Scope zu filmen, ihre Billigkeit an kaum einer Stelle zu verhüllen trachtet, ja, sie geradezu lustvoll ausstellt. Wie schon in „The Green Inferno“ gibt Lorenza Izzo, Roths Frau, eine der Hauptrollen. Keanu Reeves wird im Part des Gefolterten und Gequälten einiges an Demütigungen abverlangt, trotzdem stellt er sich wohl kaum für einen Oscar vor. Vielmehr zeigt „Knock Knock“, wie sehr die Karriere des Darstellers, der einst in den Neunzigern den Helden in Publikumserfolgen wie „Speed“ oder „The Matrix“ geben durfte, inzwischen auf den Hund gekommen ist.
Dass sich Roth in der vergangenen Dekade zu einem enfant terrible des amerikanischen Genre-Kinos entwickeln konnte, liegt nicht nur an der Drastik seiner Gewaltdarstellungen, die nun in „Knock Knock“ eher psychischer als physischer Natur sind, sondern auch daran, wie sehr er auf die in gewissen Segmenten der aktuellen Film – und Fernsehserien-Produktion vorherrschende politische Korrektheit scheißt (man denke nur daran, wie unsympathisch, schließlich auch menschenverachtend und grausam die Aktivist/innen in „The Green Inferno“ dargestellt werden). Als Louis, ein Bekannter der Familie, der eine Ausstellung mit Karens Skulpturen veranstalten will, kommt, um diese abzuholen, entwenden die beiden Frauen ihm, der schnell merkt, dass hier einiges im Argen ist, sein Asthma-Spray. Als er einen Anfall erleidet, beginnen sie, sich das Spray, exaltiert und lachend wie immer, über seinen Kopf hinweg gegenseitig zu zuwerfen. „Monkey in the middle! Monkey in the middle!“, kreischt Bell dabei, um von Genesis, im Hinblick auf Louis‘ dunkle Haut, darauf hingewiesen zu werden: „You can’t say that, Belly, it’s racist.“
Die DVD und Blu-ray, auf der Universum „Knock Knock“ am 29.04.2016 direkt veröffentlicht, ist ordentlich ausgestattet. Sie beinhaltet neben einer ziemlich interessanten entfallenen Szene, die ausführlicher zeigt, wie die beiden Frauen die Villa verunstalten, ein eher belangloses alternatives Ende, ein Making of-Featurette und einen Audiokommentar von Roth, Nicolás López, Lorenza Izzo und Colleen Camp, die in „Death Game“ eine der beiden Frauen spielte, hier als Co-Produzentin fungiert und in einem Cameo als Nachbarin Vivian zu sehen ist.