Sanft gleitet die Kamera über bewaldete Bergrücken und stille Täler, stimmungsvoll unterlegt mit Musik von Henri Texier. Dann bewegt sie sich durch ein renoviertes altes Steinhaus. Hier, an einem abgeschiedenen Ort in der Auvergne, leben der Landarzt Pierre Cessac (Jacques Gamblin) und seine Frau Géraldine (Isabelle Carré). Aber das Zuhause bleibt vorerst ein Versprechen, das den Film rahmt und seine Handlung kontrastiert. Das seit elf Jahren kinderlose Ehepaar befindet sich nämlich auf einer Reise nach Kambodscha in der Hoffnung, dort ein Kind adoptieren zu können. In dem vorübergehend verwaisten Landhaus ist das Kinderzimmer bereits eingerichtet.
Das Verkehrschaos in den vom Monsunregen überfluteten Straßen der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh markiert einen schroffen Gegensatz zur Eröffnungssequenz: Die erwartungsvolle Ankunft von Pierre und Géraldine im „Land des Lächelns und der gebrochenen Herzen“ gleicht einem Kulturschock. Fast naiv und von exotischer Faszination geblendet, verlaufen ihre ersten Begegnungen im fremden Land, die bald auf den Boden der Tatsachen geholt werden. Denn fortan sind sie konfrontiert mit Sprachproblemen, Mentalitätsunterschieden, einer schier undurchdringlichen Bürokratie, Korruption und einer Lebenswirklichkeit, die noch von den Folgen des Bürgerkriegs gezeichnet ist. „Einen Film über Menschen zu machen, die sich in ein Land katapultiert finden, von dem sie keinen blassen Schimmer haben“, war deshalb auch das ursprüngliche Interesse Bertrand Taverniers hinsichtlich seines neuen Films „Holy Lola“.
Auf der Suche nach einem Kind schickt der französische Meisterregisseur seine Protagonisten auf eine zermürbende, von Rückschlägen gekennzeichnete Odyssee durch Waisenhäuser. Immer wieder wird ihre übergroße Sehnsucht enttäuscht, mündet ihr ehrgeiziges Streben in banger Ungewissheit. „Kinder fallen nicht vom Himmel“, sagt man ihnen, während ihr Warten immer perspektivloser zu werden scheint und das Gefühl ohnmächtiger Abhängigkeit ihre Nerven aufreibt. So kommt zum psychischen Trauma der Kinderlosigkeit das emotionale Drama höchst wechselvoller Gefühlserfahrungen, die die Liebesbeziehung des Paars einer harten Prüfung unterziehen. Die Zeit, die dabei vergeht, setzt auf mehreren Ebenen einen Lernprozess in Gang: das allmähliche Vertraut-Werden von Géraldine und Pierre mit einer fremden Kultur, mit sich selbst und ihrem fast panischen Kinderwunsch, schließlich und zu guter Letzt mit dem Kind selbst.
„Holy Lola“ erzählt vom Wachsen der Liebe angesichts von Entbehrungen. Indem er seine Helden Tonbandprotokolle an das noch unbekannte Kind richten lässt, imaginiert er die angstvollen und freudigen Momente ihrer Suche als Schwangerschaft. Innere Anspannung und äußere Spannungslosigkeit – ein paradoxer Stillstand in unausgesetzter Bewegung – treten dabei in eine wechselvolle Beziehung. Mit einer Mischung aus fiktiven und realen Elementen, eingefangen mit einer teilnehmenden Kamera, verfolgt Tavernier aber noch eine andere Absicht: Die Relativität von Erfahrung in Abhängigkeit ihrer kulturellen und geschichtlichen Voraussetzungen deutlich zu machen und dabei Freud und Leid in ein ausgewogenes Gleichgewicht zu setzen. Nur am Rande streift „Holy Lola“ dabei moralische Fragen und unwägbare Zufälle, die mit der dargestellten Adoptionspraxis verbunden sind.