Georges Bataille hat einmal formuliert, dass wohl kein Kunstliebhaber eine Leinwand so sehr verehren könne wie der Fetischist einen Schuh. In diesem „harten“, materialistischen Fetischismus bleibt das begehrte Objekt bezugslos, verselbständigt sich als „Gebrauchsgegenstand“. Wer es als Kunst „einrahmen“ will, stellt diesen Bezug wieder her, entzieht es dem Besessenen und verschiebt so den Fetisch bis zur Auflösung.
Isabel Coixets neuer Film, „Eine Karte der Klänge von Tokio“, zeigt Figuren, die auf die eine oder andere Art von unterschiedlichen Fetischen durchwirkt werden. Gleich in der Eröffnungssequenz wird der Zuschauer Zeuge eines „falschen“, gerahmten Fetischs: Im Zuge eines Geschäftsessens sitzt der japanische Unternehmer Nagara in Tokio mit westlichen Partnern beisammen, die begeistert Sushi von nackten Frauenkörpern verzehren. Die als „Nyotaimori“ bekannte – und entgegen der reichlich exotisierend gaffenden Filmbilder wohl nur höchst selten in Japan öffentlich anzutreffende – sitophile Spielart erscheint hier transponiert als kulturelle Eigenart, als „Spezialität“, der kaum noch eine sexuelle Komponente anhaftet.
Durchaus anders verhält sich dies beim Personenkarussell, das nach dem abrupten Ende des Dinners eingeführt wird. Die Katastrophe: Nagara erfährt, dass seine Tochter Midori sich das Leben genommen hat. Ihrem von ihm verhassten Freund, dem Spanier David, wünscht er daraufhin im ganz wörtlichen Sinne den Tod. David, ein Weinhändler, ist ein eher schmieriger Typ, der nicht viele Worte braucht, um klarzumachen, dass er jetzt gerne ein Stundenhotel aufsuchen möchte. Sergi López gibt diesen klotzig-grobschlächtigen Mann, der im Kauderwelsch zwischen gebrochenem Englisch und ein wenig Japanisch seinen breiten Körper durch den Film schiebt, mit bemerkenswert anrührender Glaubwürdigkeit. Ihm begegnet Ryu, eine wie aus Porzellan geschaffene, schweigsame Schönheit, die nachts auf Tokios gigantischem Tsukiji-Fischmarkt das Blut von den Tischen spült und tagsüber – man ahnt es ja fast – als Auftragskillerin arbeitet. In letzterer Profession wird sie von Nagaras jungem Begleiter Ishida – selbst die tote Midori unglücklich liebend – auf Davids Leben angesetzt.
Und dann ist da noch der namenlose ältere Freund Ryus, der den Film erzählt und dessen eigener leiser Fetisch ihn zwar nicht glücklich, doch zumindest lebendig durch die Tokioter Nächte trägt: Er sammelt die Geräusche der Metropole in Gestalt von Tonaufnahmen. Für das Radio und Fernsehsendungen sei das, behauptet er, aber in Wahrheit schläft er abends natürlich ein mit seinem iPod in den Ohren und Ryus geräuschvollem Schnüffeln an einer Suppe auf Endlosschleife. Aus der Ferne ist er auch dabei, wenn David mit Ryu in einem Stundenhotel genau jene Sexpraktiken vollziehen wird, wie einst mit Midori am selben Ort. Während bei David und Ryu der Fetisch in emotionale Verbundenheit und die Geschichte folgerichtig ins Tragische, Blutige kippt, bleibt dem Erzähler dagegen seine rettende Objektbesessenheit: Atemgeräusche, Schritte, Schlürfen.
An der Selbstzerstörungskraft der „falschen“ Fetische verliert Coixet aber abseits vom opernhaft Tragischen nahezu jedes Interesse: Ihre Figuren werden uns mit der Dauer des Films immer mehr als kauzige Schicksalsgenossen in der zufallsgefügten Geschichte einer skurril-melancholischen amour fou verkauft und nicht als jene trauernden Besessenen, die sie sind. Wo Hitchcocks größter und von Coixet mehr als einmal referierter Wiedergänger- und Fetischfilm, „Vertigo“, noch in der völligen Agonie der Glockenturmszene schloss, rutscht man hier in die bürgerliche Sofabequemlichkeit eines plötzlichen Kleinfamilienidylls ab. Überaus zynisch ist das vielleicht, wenn es Ironie sein will; schlicht verlogen, wenn nicht.