Bei ihrem letzten Film hatte die Regisseurin und Drehbuchautorin Rose Bosch noch das Sujet auf ihrer Seite: „Die Kinder von Paris“ („Le rafle“, 2010) erzählt von einem der dunkelsten Kapitel der französischen Geschichte und bereitete die Massenverhaftung französischer Juden durch die mit den Nazis kollaborierende Pariser Polizei und die daran anschließende Deportationen im Juli 1942 als Spielfilm auf. Freilich war Bosch nicht die erste Filmemacherin, die sich mit den als rafle du Vélodrome d’Hiver bekannten Ereignissen auseinandersetzte (man denke an Joseph Loseys kafkaesken „Monsieur Klein“ von 1976), aber trotzdem punktete Boschs Film bei seinen Befürwortern vor allem durch die Wahl seines Themas und weniger durch die Umsetzung. Nicht zu Unrecht wies die andere Hälfte einer zwiegespaltenen Filmkritik auf Boschs manipulative und wenig visionäre Regie hin und bemängelte hohles Pathos und stumpfe Klischees. Die Regisseurin selbst tat die Kritik an ihrem Werk einfach dadurch ab, indem sie ihren Film mit den historischen Geschehnissen, die er behandelt, gleichsetzte: Wer bei „Die Kinder von Paris“ nicht weinen müsse, könne nur ein Zyniker sein, der menschliche Emotionen genau wie Hitler (!) als Schwäche betrachte, schlussfolgerte Bosch 2010 in einem Interview.
In ihrem neuen Film widmet sich Bosch nun nicht mehr der Weltgeschichte, sondern Bruchstücken ihrer eigenen Biografie. An die Stelle der peniblen Recherche, die die ehemalige Journalistin als Vorbereitung zu „Die Kinder von Paris“ betrieben hat, tritt in „Ein Sommer in der Provence“ der Rückgriff auf Erinnerungen an die eigenen Großeltern sowie an ihre geliebte Heimat im Südosten Frankreichs. Zwischen Olivenbäumen, Dorfbistros und abgelegenen Bauernhäusern entspinnt sich hier eine tragikomische Familiengeschichte um einen mürrischen Großvater (Jean Reno), der zum ersten Mal auf seine drei Enkelkinder aus Paris trifft. Die Hintergründe, die zu dieser verzwickten Ausgangssituation führen, in der Opa und Enkel nichts voneinander wissen wollen und nun aber doch die Sommerferien gemeinsam verbringen müssen, werden umständlich und plakativ in den Dialogen der ersten Szenen ausgebreitet – nachvollziehbar oder auch bloß ansatzweise glaubwürdig werden Geschichte und Figuren dadurch allerdings nicht.
Auf dem Niveau einer TV-Schmonzette inszeniert Bosch ihren Clash der Generationen und es ist schmerzhaft zuzusehen, wie die Regisseurin und Drehbuchautorin dabei auch ihre Schauspieler ans Messer liefert. Während Reno sich tapfer schlägt und immerhin so eine Art Entwicklung durchmachen darf, wirken vor allem die jugendlichen Darsteller hoffnungslos überfordert bei dem Versuch, ihren flachen Figuren Leben einzuhauchen. Anna Galiena müht sich da erfolgreicher ab; mehr als die bis zum Bersten gutmütige Oma zu geben, hat sie aber allerdings auch nicht zu tun.
Selbst die andere große und oft schon großartig in Szene gesetzte Protagonistin dieses Films kommt nicht gut weg: Selten wirkte die sommerliche Provence so steril und totgeguckt wie vor Stéphane Le Parcs Kamera. Mehr als ein paar gleichmäßig ausgeleuchtete und mit leichtem Gelbstich versehene Postkartenmotive ringt er den provenzalischen Landschaften nicht ab. Es herrscht visuelle Dürre in diesem Film, der mit seinen Entjungferungen und Blicken ins Dekolleté doch so gerne von Sinnlichkeit erzählen würde.
Statt die Wirklichkeit zu pointieren und somit in der Kunst etwas, das man Wahrhaftigkeit nennen könnte, zu produzieren, walzt „Ein Sommer in der Provence“ alle Realitäten bloß zu Plattitüden aus. Das Ergebnis ist ein substanzloses Rührstück, über das Bosch munter ihren bunten Mix aus Gefühlen und eine große Portion Provinzkitsch streut. Dazu dudelt ein Soundtrack, der mit dem Film und seinen Figuren selten etwas zu tun hat, aber mit Songs von Mungo Jerry bis Coldplay jedem Formatradio Konkurrenz macht – allein dass zwischendurch nicht noch eine Stimme die größten Hits der 70er bis heute anpreist, irritiert ein wenig. Dass das Leben mehr Fantasie habe als die einzelnen Menschen, darf die Enkeltochter zum Finale hin feststellen, wenn alle – wie unerwartet! – miteinander versöhnt sind und sich Alkoholprobleme sowie emotionale Traumata plötzlich in Luft auflösen. Diese Weisheit klingt im Kontext von „Ein Sommer in der Provence“ in erster Linie nach der Kapitulation der Rose Bosch, die es mit Fantasie gar nicht erst versuchen will.