Es gibt noch Stalinisten beim NDR. Zumindest bezeichnete sich Redakteur Alexander von Sallwitz so, um zu betonen, dass ihm traditionelle Dokumentationen eigentlich lieber seien als fiktional Aufbereitetes. Er habe »Purist« gemeint, verbesserten ihn die Kollegen eilig, als man gemeinsam das bisher »authentischste, dokumentarischste Dokudrama« promotete. Der Film über die letzten Jahre Adolf Eichmanns basiert auf den Tonbändern, die der niederländische SS-Mann und Holocaustleugner Willem Sassen im Gespräch mit dem in Buenos Aires untergetauchten reulosen Chefkoordinator der Deportationen aufgenommen hat.
Nun kann man darüber streiten, ob »das Vorstellungsvermögen des Publikums« tatsächlich dadurch »befördert« wird, dass man O-Töne dieser Kameradentreffen nachsprechen lässt (und sei es durch einen Könner wie Herbert Knaup in der Rolle des Prototäters). Problematischer wird die »fernsehgerechte Darstellung« bei der drumherummontierten wahren Geschichte, die, findet auch die »Süddeutsche«, »zu schön« sei, »um sie nicht zu erzählen«. Ist es die vielbeschworene »Ironie der Geschichte«, dass die Tochter des nach Argentinien geflüchteten Holocaust-Überlebenden Lothar Hermann 1956 arglos mit einem Sohn Eichmanns anbandelt? Ihr Vater ahnt, an wessen Spross sie da geraten ist, und gibt dem Nazijäger Fritz Bauer den entscheidenden Tipp.
Auch wenn der unterirdische Untertitel »Liebe, Verrat, Tod« weitaus Schlimmeres erwarten ließ, krankt die vergleichsweise zurückhaltende Inszenierung an TV-Platitüden: etwa wenn der blinde Hermann als Böses witternder Seher erscheint oder der virile Massenmörder mit seiner Vermieterin im Bett liegt. Die richtigen Akzente setzt Regisseur Raymond Ley vor allem dort, wo er rein dokumentarisch vorgeht, Eichmann-Ankläger und andere hochkarätige Zeitzeugen zu Wort kommen lässt und den anhaltenden Antisemitismus der Deutschen und ihr Desinteresse an der Aufklärung der Verbrechen hervorhebt.
Man habe, verkündete ARD-Chefredakteur Thomas Baumann, diesem »Höhepunkt im Fernsehjahr 2010« den »besten Sendeplatz« eingeräumt: gleich nach dem »Tatort«. Vielleicht bleibt ja sogar der eine oder andere Zuschauerhängen, wenn er in der Figur des einsamen Generalstaatsanwalts Bauer den »Tatort«-Kommissar Axel Milberg wiedererkennt, der beim konspirativen Treffen mit einem Mossad-Kontaktmann schon mal mit krimiüblichen Frotzeleien aufwartet. Nicht auszudenken, was erst aus diesem »schönen« Stoff geworden wäre, hätte Bernd Eichinger ihn in die Finger bekommen.
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 07/2010