Im Jahr 1962 hält sich der Amerikaner Rydal (Oscar Isaac) in Athen als Fremdenführer gerade eben so und mit kleineren Gaunereien über Wasser und trifft eines Tages auf das elegante, gut situierte Ehepaar Colette und Chester MacFarland (Kirsten Dunst und Viggo Mortensen). Rydal ist auf Anhieb von dem Paar fasziniert; er fühlt sich angezogen von ihrer kultivierten Art und ihrem sorgenfreien Lebensstil. Wie auch sie von ihm: einer, der scheinbar unabhängig seine Freiheit, seine Ungebundenheit zu Leben scheint. Doch der Eindruck trügt. Als Rydal eines Abends zum Luxushotel der MacFarlands zurückkehrt, seine Freundin sitzen lässt um Colette einen im Taxi vergessenen Armreif zurückzubringen, da bedrängt ihn Chester auf dem Hotelflur, einen offenbar bewusstlosen Mann fortzuschaffen – von dem der Zuschauer bereits weiß, dass er tot ist und der den MacFarlands auf den Fersen war. Sie entscheiden sich, Athen schnellstmöglich zu verlassen und bitten Rydal, ihnen zu helfen. Dieser stimmt zu und begibt sich, wohlwissend, aber auch um Colette nahe zu sein, in ein dunkles Netz aus Mord, Eifersucht und Intrigen.
Keine Frage, das Personal liefert hier eine erstklassige Vorstellung ab. Wie auch der ganze Film, nach einem Roman von Patricia Highsmith, mit staubig schönen Arthouse-Bildern in satten Ockerfarben ganz unsubtil zu prunken und protzen versteht. Hier trinken die Männer noch Scotch (und zwar schon mittags) und tragen sommerliche Anzüge aus weißem Flanell. Den Damen ist zwar heiß, sie schwitzen aber nie. Allenfalls ein Tröpfchen auf der Oberlippe bildet sich da beim Blick in die tiefen Augen eines vorübergleitenden Galans – nur da erhöht sich für kurze Momente die Körpertemperatur. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass der durchaus kitschige Film ein vergangenes Kino heraufbeschwört, eines aus den 60er Jahren, als man noch mit dem KIno die südlichen Sehnsuchtsgefilde erforschte und man Agatha Christie et al. dafür dankbar war, etwas Exotik in die nordeuropäischen Wohnzimmer an tristen Sonntagnachmittagen zu bringen.
„Die zwei Gesichter des Januars“ ist das Regiedebüt von Hossein Amini, der mit seinem Drehbuch zu „Drive“ schon einiges an Beachtung fand und dann auch „Snow White and the Huntsman“ skriptete (wie immer man das bewerten möchte). Für sein Drehbuch zu „Die Flügel der Taube“ von Iain Softley (1999), nach einem Roman von Henry James, war Amini für einen Oscar nominiert – er habe sich also „als Garant“ für kunstvolle Adaptionen klassischer Stoffe bewährt. So zumindest sehen das die PR-Agenturen. Wie immer sollen solche Fakten für Qualität bürgen, über diesen Film von Softley hingegen, an den sich heute wohl kaum einer mehr erinnern kann, schrieb etwa Patrick Bahners damals in der FAZ, er sei eine „sinnentleerte Ausstattungsorgie und […] eine filmische Totgeburt.“ Und auch bei Keanu Reeves‘ Samuraivehikel „47 Ronin“, das weltweit zu Entrüstung wegen seines hemmungslosen kulturimperialistisch vereinnahmenden Vorgehens führte, war Amini am Drehbuch beteiligt.
Neben seinem durchaus spannenden und sukzessive sich stetig intensivierenden Thrillerplot fällt vor allem die Bildgestaltung des Films auf. Hier ist alles nahezu perfekt, geradezu makellos. Die Ausstattung exquisit, die Beleuchtung immer stimmig, die Tongebung allzu passend, die Musikspur melodramatisch, wie es sich gehört. Alles eben immer: wie es sich gehört. Ein Wunder beinahe, dass der Film nicht erstickt und völlig steril wirkt in seiner ausgestellten Perfektion. Dennoch bleibt ein Gefühl des Missbehagens zurück: So schreitet man vielleicht etwas allzu gern durch die apart ausgeleuchteten Bildräume dieses Films, verlustiert sich etwas zu gerne mit den selbst im Suff immer gut aussehenden Menschen beim Sonnenaufgang über dem Hafen von Piräus, oder auf Kreta (oder sonstwo), möchte man immer etwa zu sehr, dass die Liebelei nicht nur geheimes Begehren bleibt. Überhaupt die Liebe: inmitten dieser letztlich gescheiterten Existenzen, vor dem Leben flüchtenden alkoholkranken Snobs ist es die Liebe, die das einzig reine, wahre und hehre Ziel am filmischen Firmament darstellt. Zu ihr hin strebt alles, je mehr die Figuren vor ihren Leben in den falschen Identitäten flüchten. Die echte Liebe wäre dann endlich mal ein Ankommen im Richtigen.
Und so ist „Das zweite Gesicht des Januars“ neben seinem Krimiplot auch vor allem ein Beziehungsfilm, einer, der ganz anachronistisch über seine Charaktere funktioniert und seine Dialoge. Der sich zunehmend auswächst zum psychologischen Machtkampf zwischen den beiden Männern, zwar im selben Boot sitzend und doch gegeneinander kämpfend um die Trophäe Frau. Kämpfe, in denen Wortwitz zählt, Eloquenz und Schlagfertigkeit. Das richtige Timbre zum echten Gefühl allerdings könnte, vermutlich, letztlich die Herzdame gewinnen. Wer die Muskeln einsetzt, hat verloren. Eine wirklich voll entwickelte Frauenfigur hatte aber in Aminis Film keinen Platz. Zu sehr konzentriert sich der Film auf das Ringen der männlichen Charaktere – die natürlich, so offensichtlich doppelbödig ist der Film dann permanent: nicht nur mit dem befreundeten Feind kämpfen müssen, sondern auch gegen die Dämonen in der eigenen Seele.
Etwas allzu genüsslich lässt sich diese mediterrane Fim-noir-Eskapade in vergangene Kinozeitalter goutieren, es ist ein Feelgood-Film für das gesetztere Publikum (oder eben einfach ein Krimi mit Patina und Grünspan), das für seine Bildungsreise zu den antiken Tempeln noch etwas Inspiration gebrauchen kann. Nun, warum dann mal nicht den „Roman zum Film“ von Patricia Highsmith lesen? Aber vielleicht kauft man sich diesen besser vor Ort, man hat es ja im Film gesehen, wie schön man dort auf diesen Flohmärkten Antiquarisches erstehen kann. Nur die Adresse des netten Hotels, die müsste man bitteschön vielleicht noch irgendwo herbekommen. Das sah ganz putzig aus dort in der Altstadt.