Dino Ossola (Fabrizio Bentivoglio) hat einen Traum. Er möchte zu den oberen Zehntausend gehören. Dino ist die leicht verschrobene Kernfigur in „Die süße Gier – Il Capitale Umano“, dem neuen Spielfilm von Paolo Virzì.
Seit der Finanzkrise laufen für Dino, dem kleinen Immobilienmakler, die Geschäfte nicht so richtig. Die Märkte machen nicht nur in Italien was sie wollen. Irgendwie müsste er mal den Sprung nach vorne schaffen. Die eine Ehe ist geschieden und in der nächsten kommt nun das Kind.
Seine Tochter Serena (Matilde Gioli), im besten Teenie-Alter, hat schon die richtige Wahl getroffen. Sie ist mit Massimiliano (Guglielmo Pinelli) zusammen. Beide sind jetzt für Dino das Ticket in die Oberschicht, denn der Junge ist ein Spross der Bernaschis, der reichsten und mächtigsten Familie in der Stadt. Gut, dass das Mädchen seinerzeit aufs Elitegymnasium geschickt wurde, wo sie ihren lockigen Superstar kennenlernte.
Giovanni Bernaschi, der smarte Vater des Freundes, ist der Fürst der Börsenspekulation (Fabrizio Gifuni). Er hat seine „Finger“ in der Hälfte der italienischen Wirtschaft. Beim beiläufigen Tennis-Match auf dem Bernaschi-Anwesen kauft sich Dino in den vom Hausherrn geführten Spitzenfonds ein. Ganz ehrlich ist er dabei nicht. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verbieten eigentlich eine Kreditaufnahme zum Erwerb der Anteile. Daran hält sich Dino aber nicht.
Aber selbst der Tycoon Bernaschi muss rigide Regeln einhalten. Denn der Finanzmarkt ist nicht nur etwas Schillerndes; er ist gefährlich, chaotisch und nicht kontrollierbar. Der Kleinanleger Dino wird somit zur finanzpolitischen Handgranate. Sein Fondsmanager Giovanni weiß, dass er selbst am Rande der Großpleite steht. Dino muss es später lernen.
Ganz ehrlich geht es in diesem Film sowieso nicht zu. Während Giovanni Bernaschi das Geld ranschafft, indem er Betriebe fusioniert und Leute auf die Straße setzt, haut seine Ehefrau Carla (Valeria Bruni Tedeschi) alles Geld auf den Kopf, was sie in die Finger kriegt. Einmal bringt sie den Chauffeur auf einer ihrer Shoppingtouren fast um den Verstand, weil sie alle 20 Sekunden die Fahrtrichtung ändern lässt: Handtasche, Friseur oder erst die Schuhe? Sie agiert aber nicht nur komplett sinnlos. Ihr Hobby ist ein altes Theater, in das sie viel Geld reinsteckt. Mit dem Intendanten kommt es schließlich auch zur belanglosen Affäre.
Diese große kapitalistische Erzählung braucht ihren Widerpart. Es ist die Tochter Serena Bernaschi, die ihre eigenen Pläne verfolgt. Sie durchschaut zwar Dinos Interesse an ihrer Beziehung zu seinem Sohn. Aber mit der Gier der Erwachsenen kann sie wenig anfangen. Sie ist gleichgültig, Reichtum ist ihr egal. Weil sie die Berechenbarkeit ihrer Familie anödet, hat sie sich in den größten Loser der Stadt, Luca (Giovanni Anzaldo), verliebt. Der saß schon im Knast, weil ihn sein krimineller Onkel einen Drogendeal in die Schuhe schob. Der Onkel wäre sonst nie mehr aus dem Gefängnis herausgekommen. Klar, der jugendliche „Knacki“ ist der einzig ehrliche im Film.
Dieses recht fragile, klassenübergreifende Filmgebäude muss zwangsläufig ins Wanken geraten. Es folgt das Verbrechen mit Personenschaden. Irgendjemand hat einen Menschen auf dem Gewissen, und nur Serena weiß, wer es ist. Sie schweigt aber darüber, wer nachts mit dem Geländewagen ihres Freundes Massimiliano den Fahrradfahrer überfahren hat. Unterdessen gehen Giovanni die Milliarden flöten und damit auch Dinos Investition. Wird nun der verschuldete Vater seine Tochter ausspionieren und ihren Freund in den Knast bringen, um sich finanziell zu retten?
Während die Polizei ermittelt weichen alle Gewissheiten. Alle Protagonisten kämpfen nun dagegen, lediglich ökonomisches Treibgut zu sein. Was ist der Gesellschaft ein Menschenleben wert? Um Schadenersatzansprüche auszurechnen, hat die Versicherung schon mal kalkuliert: Lebenserwartung, voraussichtliches Einkommen, Qualität und Quantität der menschlichen Bindungen. Im Fall des Fahrradfahrers geht es um 218.976 Euro. Damit kommt eine weitere Facette des Films zum Tragen, der in vielen Schichten arrangiert ist und vor allem flott und spannend ist.
Der Regisseur Paolo Virzì weiß, wie man Geschichten aus der Arbeits- und Finanzwelt kraftvoll erzählt. Schon mit der Komödie „Das ganze Leben liegt vor dir“, in der er über die Arbeit im Callcenter erzählt, hat Maßstäbe gesetzt.
Bei seinem neuen Werk will man keine Sekunde verpassen. Die interessanten Wendungen, intelligenten Lösungen und Dialoge fesseln an die Handlung. Die dargestellte recht reduzierte Welt der Wirtschaft setzt der Regisseur mit perfekter Fotografie, Dramaturgie und immer wieder tollen Schauspielern in Szene. Er macht es, indem er die Ökonomie als Beziehungsgeflecht von Abhängigen darlegt. Geld, das sind wir schließlich alle.
Einerseits gibt es die Spielwiese für die Älteren – die Börse. Dafür stehen Dino und Giovanni. Die prekäre Ökonomie der Kulturszene und ihre haarspalterischen Diskurse repräsentiert Carla mit ihren Mitstreitern. Das Thema Berufseinstieg und Zukunftsplanung im gegenwärtig gebeutelten Italien diskutieren Serena und ihre Klassenkameraden. Für Erotik, Aggression und rasante Action sorgen wiederum alle zusammen.
Virzì lässt seine Schauspieler – von denen viele selbst schon als Regisseure gearbeitet haben – ihre Stärken ausleben. Sie wirken echt und authentisch in ihren Rollen. Auch die Arbeit des Regisseurs tut es. Besondere Fragen solle man besser in der Geschichte, in den Figuren und ihrem Verhalten verbergen, um sie nicht von vornherein wie etikettenhafte Stellungnahmen klingen zu lassen, betont Virzì: „Man kann also sagen, dass es gut ist, bestimmte Dinge ohne zu viel Nachdruck zum Vorschein zu bringen.“ Der Rest laufe unterschwellig mit: „Habgier, Konkurrenz, Wetteifer, Spekulation, Kultur, Generationenkonflikte.“
Konkurrenz, Spekulation, böses Ende? Das klingt wie Schülertheater. Kein Wunder, denn in der Wirtschaft, im Leben wollen alle mitspielen.
Dieser Text erschien zuerst in: Gegenblende. Das gewerkschaftliche Debattenmagazin