In der ersten Stunde des Zweistundenfilms geht es live um Vertragsverhandlungen zwischen Filmproduktion (Miramount) und Serienstar Robin Wright (Robin Wright). Die Gewinne der Firma drohen einzubrechen. Der Star gerät auf die falsche Seite der 40. Was tun? Sie zu Tode liften? Nä. Besser sie, wo es grade noch geht, scannen und dann für die nächsten zwanzig Jahre mit ihrem digitalen Ebenbild den Serienmarkt beherrschen. 'Forever Young' auf der Tonspur. Das ist es! Harvey Keitel tritt auf und hält voll empathisch einen sehr langen Monolog. Dann verschwindet er, ungescannt, für immer aus dem Film.
Harvey ist weg. Aber Robins kleiner Sohn bleibt. Und damit ein Problem. Am Flughafen lässt er direkt vor den landenden Passagiermaschinen einen roten Drachen steigen. Erst wenn der Flieger zerschellt, wird er von Blind- und Taubheit gerettet – meint er. Er braucht die Mutter, und dank Miramount hat sie jetzt Zeit. Wird sie den angehenden Terroristen von seinem Vorhaben abbringen? Wie lebt es sich überhaupt privat mit der öffentlichen Digitalversion?
Wird es spannend? Nein. Schnitt. Zwanzig Jahre später: Robin Wright, 60, wird zum digitalen Kongress geladen. Warum fährt sie hin? Vertragsverlängerung? Egal. Grenzkontrolle zum immerjungen Reich, und damit beginnt die zweite, die Animationsstunde des Films. 60 Minuten Schick im Stil des Yellow Submarine' der Beatles. Jetzt oberirdisch. Pinkfarbener Himmel, hundertstöckige Hochhäuser, botanisch wuchernd und treibend. Ey, Mann, ist das bunt. Psychedelisch. Jedenfalls so, dass dir die Augen zufallen und du gern mal abschaltest. Was du beim Nickerchen verpasst hast, kannst du ja in der nächsten Vorstellung nachholen. Ganz im Sinn von Miramount. Oder aber, du bleibst in der zweiten Stunde hellwach, weil dich interessiert, wie das geht, wenn in dieser Koproduktion acht Animationsstudios zweieinhalb Jahre lang parallel gearbeitet haben. Israel, Deutschland, Polen, Luxemburg, Frankreich, Belgien. Unsere ARD-Degeto ist dabei. Erfolg: Immerhin ist das Design einheitlich.
Viele werden sich jedoch was anderes fragen, nämlich wie weit 'The Congress' auf Stanislaw Lems Roman Der futurologische Kongress. Aus Ijon Tichys Erinnerungen basiert – was der Film behauptet. Die Frage ist leicht zu beantworten, und zwar mit: Na ja, arg reduziert. Gereinigt ist der Film von Lems Erzählfreude, seinem Witz und seiner Bissigkeit.
Futurologisch bleiben die Angst und Sorge vor einer Zukunft, in der eine diktatorische Oligarchie die Mentalität von Menschen beherrscht und manipuliert. Geschrieben vor bald 50 Jahren in Polen, waren Lems Erzählungen – Seemannsgarn im besten Sinne – zu einem Roman gewachsen und zu einer frechen Dystopie der realen kommunistischen Herrschaft geworden. Kein schlechter Gedanke, dass Regisseur und Autor Ari Folman mit seinem Film jetzt – Kurswechsel! – auf die Diktatur der Fun- und Eventindustrie abzielt und auf die Verquickung mit dem Drogenmarkt und -wahn (beginnend mit erlaubten Antidepressiva und endend im Glück der verbotenen Substanzen). Folman macht sich Sorgen um den Berufsstand der Filmschauspieler. Zunächst werden sie ins digitale Bild überführt und sind ab diesem Zeitpunkt entbehrlich. Sodann übernimmt die Pharmaindustrie den Markt und versorgt die Abnehmer mit Glückszeug, das jedem die ureigenste Produktion von Bildern – je nachdem auch von Schreckensbildern – ermöglicht. Ganz die individuelle Rezeption von Stoff.
Was wird dann aber aus Robin Wright? Sorgen über Sorgen. Passiv und ratlos streicht sie durch die psychedelische Welt und erblickt die Phantasiegestalten, die sich ein jeder von und für sich macht. Für immer, hallo, Marlene Dietrich sein, da ist sie schon, oder John Wayne, Che Guevara, Pablo Picasso, Elizabeth Taylor, Michael Jackson, Clint Eastwood, Tom Cruise – Wunschidentitäten im Angebot. Zugreifen! Jedenfalls stellen sich Hollywoods Filmindustrielle das offenbar so vor. Sorry, ich meine natürlich die vielen Köche dieses Produktionsbreis.
Aber das, was ich schreibe, ist Interpretation. Und die überlasse ich gern den Usern des Films. Warnen möchte ich aber aus eigener Erfahrung jene, die von Folmans Waltz with Bashir' (2008) auf die Animation von 'The Congress' schließen. Diese Erwartungen werden enttäuscht. In der Bildumsetzung von 'Waltz with Bashir' ist noch die präzise Handschrift des Autors zu spüren. In 'The Congress' ist allenfalls produktionstechnische Studiokooperation zu bestaunen, leicht angestaubt allerdings. Nicht, dass Animation unbedingt das jeweils neueste Design sein müsste. Sie könnte auch richtig schön retro sein. Jahrzehntealtes Anime beispielsweise. Ja, ein Märchen, ein gaaanz altes, das die Futurologie durch entlegenste Historie ersetzt. Ach, wie war es doch vordem, mit dem, ja, Jungbrunnen so bequem … Wir hätten dann den großen Mythos statt die Sorgen der Schauspielergewerkschaft.
Neinneinnein, Folmans freudloser Film ist nicht das letzte Wort zum Futurologischen Kongress. Ich bin jedenfalls neugierig geworden, die deutsche Verfilmung von Ijon Tichys 'Erinnerungen' zu gucken. Phantastisch und trashaffin dazu.
Erstes Jahrzehnt dieses Jahrhunderts: Die Lem-begeisterten Studenten der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin Randa Chahoud, Dennis Jacobsen und Oliver Jahn entwickeln einen frechen und sofort preisgekrönten Kurzfilm, 'Aus den Sterntagebüchern des Ijon Tichy', gefolgt von einer 14teiligen Serie im ZDF. Gedreht wurde in Jahns damaligem Berliner Altbauwohnzimmer unter futurologischem Einsatz von skurrilen Haushaltsgeräten aus den achtziger und neunziger Jahren. Heute möchte Jahn den Futurologischen Kongress neu verfilmen, auf Spielfilmlänge. Im ZDF könnte das Augenzwinkern eines leibhaftigen Autors die Antwort auf Folmans 'Congress'-Produkt geben. Obschon ARD-Degeto aus eigenem Interesse für quotenträchtige Primetime sorgen wird. Folman läuft in seinem Lem-Film Gefahr, auf die Schiene zu geraten, die er als Negativutopie anzuprangern gedenkt.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 9/2013