Bei der Verfilmung des Baader-Meinhof-Komplexes haben alle Beteiligten Qualen auf sich genommen, die allenfalls von denen der Zuschauer überboten werden. Ein erschütternder Bericht, versetzt mit Originaltönen der Betroffenen.
Das Tolle« war für Moritz Bleibtreu, dass Regisseur Uli Edel »uns so viel von der damaligen Zeit erzählen konnte, denn er war ja dabeigewesen«. Wie bitte? Der Produzent und Drehbuchautor Eichinger lässt Stefan Austs Baader-Meinhof-Komplex von einem ehemaligen RAF-Mitglied verfilmen – eine Resozialisierungsmaßnahme für einen veritablen Undergroundregisseur?
Aber nein. Zwar war Edels erste bescheidene Reaktion, als sein alter Kumpel Bernd ihm das Projekt anbot: »Wer zum Teufel sonst soll das erzählen? Diese Geschichte hat mich beschäftigt wie keine andere.« Aber im Untergrund war der Veteran dann doch nicht so richtig. Er habe lediglich Marx-Lektürekurse besucht (und kein Wort verstanden) und sei als »unheilbarer Revolutionsromantiker« jeden zweiten Tag auf eine Kundgebung gerannt. »Es war eine emotional extrem aufgeladene Zeit.« Aber »der Schock und die große Verunsicherung«, als 1972 ganz unromantisch »die ersten Bomben explodierten«, haben den Unheilbaren offenbar doch von der extremen emotionalen Aufladung kuriert: »Da hat die RAF das Verständnis von Uli Edel verloren« (»Spiegel«).
Sein zwei Jahre jüngerer Filmhochschulkamerad Bernd Eichinger gibt ebenfalls vor, »die Dinge« als »junger Mann hautnah miterlebt« zu haben. Militanz habe er jedoch nie »nachvollziehen« können. Von dem Terrorthema sei er einerseits »abgestoßen«, andererseits könne er »nicht davon lassen, denn ich will es verstehen. Insofern war die Motivation, »Der Baader-Meinhof-Komplex« zu verfilmen, die gleiche wie bei »Der Untergang«.«
Ist ja ohnehin irgendwie das gleiche. Sagt auch Edel, der sogar mal mit echten Exterroristen gesprochen hat. »Allerdings erinnerten sich diese in einer Weise, die die eigene Schuld und Verstrickung abschwächte. Das war wie bei der Generation meiner Eltern. Die haben sich schon 15 Jahre nach dem Krieg an nichts mehr erinnert, was ihre Rolle im Dritten Reich betraf.«
Wie sich Eichinger den »Untergang der RAF« (Starring Andreas Baader als Adolf Hitler) ausgemalt hat, sollte möglichst lang geheim bleiben. Die Inhalte des Baader-Meinhof-Filmkomplexes seien von der Presse bis kurz vor Kinostart nicht an Dritte weiterzugeben, verfügte der Verleih, andernfalls seien 50.000 Euro an Eichingers Firma Constantin-Film zu entrichten. Was also, fragte ich mich vor dem Sichttermin, hat Eichinger sich denn da für einen Knaller ausgedacht? Ulrike Meinhof lebt und agiert heute als innenpolitische Sprecherin der Linkspartei? Andreas Baader bricht aus Stammheim aus und wird Popstar? Gudrun Ensslin brennt mit Horst Herold durch?
Nichts davon. Vermutlich wollte der Verleih, der sich so sehr bemühte, die Spannung anzuheizen, nur dem »Spiegel« sein (allem Anschein nach noch zu Austs Zeiten als Chefredakteur ausgedealtes) exklusives Recht sichern, den Film zweieinhalb Wochen vor dem Start abzufeiern. Denn herausgekommen ist eben doch nur ein Aufguss der alten Austschen Kolportage, die zur offiziösen Geschichtsschreibung erhoben werden soll. Nur noch eine Frage der Zeit, bis die Filmversion – wie zuvor die nationalen Geschichtsklittereien »Der Untergang« oder »Dresden« – als Anschauungsmaterial in den Schulunterricht Eingang findet. Inklusive der melodramatischen Story vom Kinderretter Aust, der die Zwillinge von Ulrike Meinhof vor den Kinderfressern der RAF und dem Elend eines palästinensischen Waisenlagers bewahrte. (Gar rührend ist’s, mitanzusehen, wie die kleinen Mädchen Onkel Stefan in die offenen Arme laufen.) Inklusive der Entmündigung Ulrike Meinhofs, die nurmehr als ein Opfer des Paares Baader/Ensslin erscheint: Das durchtriebene Duo zieht sie in den Untergrund hinab, indem es permanent gegen ihr »Theoriegewichse« und ihre »scheißbourgeoisen Fragestellungen« stichelt, und treibt sie am Ende eiskalt in den Tod.
Aber eigentlich begann Ulrikes persönlicher Untergang schon mit der Untreue ihres Ehemanns, jedenfalls fängt im Film alles damit an. 1967 am FKK-Strand von Sylt, wo die damalige Konkret-Kolumnistin mit ihrem Mann Klaus Rainer Röhl und den Kindern sonnenbadete, haben die einzig und allein der Authentizität verpflichteten Macher (Edel: »›Cinéma vérité‹ würden die Franzosen sagen«) offenbar folgenden intimen Dialog belauscht. Namenlose splitternackte Blondine zu Röhl: »Und was macht die Revolution?« Der ebenfalls splitternackte Womanizer: »Im Moment Ferien.« Wen wundert es da noch, dass seine Angetraute (gespielt von Martina Gedeck in der Rolle von Martina Gedeck, die Ulrike Meinhof spielt) kurz darauf ihren Gatten mit ebenjener Blondine in flagranti erwischen muss und wutentbrannt das Familienanwesen in Hamburg-Blankenese verlässt? Sonst wäre das alles ja gar nicht passiert, und Tochter Bettina Röhl müsste heute nicht versuchen, Bücher zu schreiben.
Was hat Eichinger noch zu bieten? Neben der Mär vom Good Cop Horst »The Hero« Herold (gespielt vom altersweisen Führer aus dem »Untergang«: Bruno Ganz), der sogar Verständnis für die erzürnten Palästinenser aufbringt, darf auch Gudrun Ensslin als fanatische Femme fatale nicht fehlen. Und natürlich Andreas Baader als Vollproll. Moritz Bleibtreu dürfte diese Deutung der Rolle (»Es gibt wenige Hinweise darauf, dass er anfangs irgendeinen intellektuellen Anspruch hatte«) nicht schwergefallen sein – allein am Charisma, Witz und »Sympathiepotential«, das Bleibtreu der »Legende« Baader zuschreibt, hapert es gewaltig. Weshalb die Heiligenverehrung, die dem draufgängerischen Outlaw insbesondere von der Damenwelt entgegengebracht wird (»Andreas hat mehr revolutionäre Kraft als wir alle zusammen«), nicht gerade glaubwürdig rüberkommt. Auch der Hamburger Slang, den Bleibtreu seiner schmollippigen Ausgabe des in München aufgewachsenen RAF-Anführers verpasst – Zeitzeuge Aust findet die Ähnlichkeit der Darsteller »verblüffend« – , ist nicht so recht am Platz. »Jetzt benimm dich nicht wie ’ne halbschwule Tussi«, scheißt Bleibtreu-Baader einen Brandstifterkollegen zusammen, der einzuwenden wagte: »Und wenn im Kaufhaus noch Leute drin sind?« Wenn Andi »aufn Putz haun« will, mutieren die Staatsfeinde in spe zu blindwütig herumballernden Crashkids. Nicht genug Autos da? »Dann klauen wir eben noch zwei oder drei.« Lustig ist das Terroristenleben – da versteht man Austs späteren Kronzeugen Peter-Jürgen Boock gleich viel besser, der, aus dem Erziehungsheim entflohen, von dem verkappten Spaßguerillero Baader zum Bösen verführt wird.
Im Film dürfen wir, das nennt sich dann Entmythologisierung, durchaus mal über den Bürgerschreck lachen. Im palästinensischen Kampftrainingslager hat Baader bald keinen Bock mehr, sich rumkommandieren zu lassen, und ruft zum Streik auf. Und als ihm in Italien sein geklauter Mercedes geklaut wird, verflucht der zur Witzfigur geschrumpfte Terrorist die »verdammten Spaghettifresser« – und natürlich immer wieder »die blöden Fotzen«. Das ist auch schon so ziemlich das Diffizilste, was der Haudraufterrorist, als Gegenpart zum gefallenen Intellektuellenengel Meinhof, im Film sagen darf.
Zur Sicherheit hat Eichinger bereits im Drehbuch »den Politjargon, der in den Siebzigern in der linken Szene üblich war, reduziert, einfach, um die Dialoge für den heutigen Zuschauer verständlich zu halten«. Und für die heutigen Schauspieler. Die aber trotzdem nicht den Eindruck erwecken, als würden sie beim Herunterrattern von Originalsatzbrocken der »hysterischen Bewegung« (Martina Gedeck) etwas raffen. Moritz Bleibtreu beispielsweise steht das »Bahnhof« förmlich auf die Stirn geschrieben, wenn es in den wenigen hitzigen Wortwechseln schon wieder um irgendwas mit Politik oder so geht. Bleibtreu habe seine Distanz zur Rolle überwunden, »indem er in Andreas Baader auch einen Liebenden sah«, hat der »Spiegel« ermittelt. Die »romantische Liebe« (zwischen Arsch und Fotze?) sei seine »Tür zu Baader« gewesen.
Die schnöde Theorie hat Eichinger ohnehin aus dem Drehbuch verbannt, denn es war ja »die RAF, die sich für den Kampf und gegen die politische Debatte entschieden hat, so ist es denn nur konsequent, dass wir im Film ähnlich vorgehen. Außerdem bin ich der Meinung, dass sich Menschen letztendlich nicht über das definieren, was sie sagen, sondern über das, was sie tun. Hinzu kommt, die Sprache der RAF ist wie Beton.«
Und die (Bild-)Sprache Edel-Eichingers so extralight und belanglos, dass man sie gleich wieder vergisst. Keine Einstellung, die nicht vorhersehbar wäre oder einem aus all den Fernsehtodesspielen bekannt vorkäme, statt dessen hausbackene Action mit gewaltgeilen RAF-Rambos.
Als trüge die Wahl der Schauspieler nicht schon genug zum Untergang der RAF bei, hechelt Edel im 140minütigen Gewaltmarsch durch die Austsche Geschichte – vom Schaft-Besuch 1967 bis zu Schleyers Ermordung 1977. Da bleibt naturgemäß jede Spielfilmdramaturgie auf der Strecke. Der willkommene Nebeneffekt: Worte und Taten der RAF sind ihres Zusammenhangs beraubt, fürs Zitieren auch nur eines der Gedanken, die sich die Gründer der RAF vielleicht doch gemacht haben, blieb in bald zweieinhalb Stunden keine Zeit.
Attestierte Dietrich Kuhlbrodt in Konkret 3/1986 noch Reinhard Hauffs »Märchenfilm« »Stammheim« (Drehbuch: Stefan Aust), er sei zwar teils »gutgemeint«, erledige Baader und Meinhof aber vollends durch seine bürgerliche Ästhetik, so sucht man bei Edel/Eichinger nicht nur vergeblich nach etwas, was überhaupt den Namen Ästhetik verdiente – gutgemeint ist hier schon gar nichts. Um den Film als Zerstörung des »Mythos RAF« zu verkaufen, instrumentalisiert man einfach ihre Mitglieder. Eichinger hat Brigitte Mohnhaupt dazu auserkoren, die RAF-Nachkommen, die vom »Mord« an den Stammheimer Gefangenen sprechen, mit den Worten zurechtzuweisen: »Hört auf, sie so zu sehen, wie sie nicht waren!« Die Gefangenen wollten’s ja nicht anders.
Außerdem war das bisschen Isohaft nichts gegen die Qualen, die »die erste Garde der deutschen Schauspieler« erlitten hat. Der »Spiegel« war live dabei, als Vinzenz Kiefer »vor dem großen Töten« in einem Wohnwagen saß und »um Verzeihung« bat. »Gleich wird er Peter-Jürgen Boock sein, Mitglied der RAF. Er wird eine Heckler & Koch nehmen und sich an die Kreuzung stellen … Ihm ist nicht wohl, es ist alles so seltsam. Schleyer wurde in der Vincenz-Statz-Straße entführt, und Kiefers Vorname ist Vinzenz.« Das soll einer erst mal verkraften.
Und wer bitte zahlt die Therapie für die posttraumatische Belastungsstörung der Ensslin-Darstellerin Johanna Wokalek, die schon bei der Lektüre des Drehbuchs aus allen Wolken fiel (»Wahnsinn, was war denn da los?«) und dann vom Waffentraining »total gestresst« war: »Die Gewalt einer Waffe so körperlich zu spüren war ein ganz eigenes, schreckliches Erlebnis.« Wer trocknete Uli Edels Tränen, der mehrfach das Set verlassen musste, weil er dem ungeheuren Realismus seiner Kreationen nicht standhielt? Wer reanimierte Martina Gedeck, der der Dreh in Stammheim »fast den Atem genommen« hat?
Immerhin haben sich die Torturen gelohnt: Gedeck hat das Lernziel erreicht und kommt, wie wiederum der »Spiegel« lobt, »anders aus dem Film heraus, als sie hineingegangen ist … es ist nicht Nähe zur Meinhof geblieben, sondern mehr Nähe entstanden zum Staat, den Ulrike Meinhof wegbomben wollte«. Es seien schließlich »paradiesische Zustände«, in denen man hierzulande lebe, hat die brave Bürgerin eruiert.
Eine Perspektive, im schlanken Staat wieder etwas revolutionäres Bewusstsein aufkommen zu lassen, eröffnet der Film übrigens doch noch: »Wie viele andere Darsteller mussten auch sie (!) während der Dreharbeiten abnehmen. Wie war das?« wird Wokalek im Presseheft gefragt. »Dass viele von uns sozusagen auf ›Hungerstreik-Diät‹ waren, hat mir sehr geholfen … es ist mir leichter gefallen, mich in diesen Zustand der totalen Konsequenz hineinzuversetzen.« Eine Kostümbildnerin, die Mitglied der Kommune 1 gewesen war, habe ihr anvertraut, dass sie »immer alle extrem dünn waren und eigentlich fast nur geraucht und wenig gegessen haben«. Terror macht schlank! Wär‘ ein schönes Thema für des »Spiegels« Schwesterblatt »Brigitte«?
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 10/2008