Die Farben der Natur sind schwarzweiß in Fernando Truebas Film „Das Mädchen und der Künstler“ („El artista y la modelo“). Trotzdem bringt ein konstant intensives Sonnenlicht die Bilder zum Leuchten, indem es durch zauberhafte Schatten die Körper und Gegenstände modelliert. Zwischen Helle und Dunkel, Jugend und Alter, Lebenslust und Vergänglichkeit changiert dieses ausnehmend schöne filmische Poem von Anfang an. Während der alte, lebensmüde Maler Marc Cros (Jean Rochefort) auf seinem Morgenspaziergang einen verwitterten Astknochen, ein leeres Nest und einen skelettierten Vogelschnabel als Zeichen der Vergänglichkeit betrachtet, pulsiert unweit auf dem Marktplatz eines kleinen südfranzösischen Städtchens das Leben. Menschen flanieren, erledigen Einkäufe oder sie entspannen sich auf der Terrasse des Café de la paix, von wo aus sie das Treiben beobachten, während der Glockenschlag der nahen Kirchturmuhr das Verrinnen der Zeit signalisiert. Doch die Idylle trügt, wie eine Naheinstellung auf die Beine der Vorübergehenden zeigt, unter die sich Soldatenstiefel von Uniformierten mischen.
Einerseits hält sich der Krieg in diesem Film und an diesem Ort am Rande der Pyrenäen im Hintergrund; andererseits sind im Sommer des Jahres 1943 seine Drohungen dezent gegenwärtig. Eine junge, verwahrloste Streunerin (Aida Folch) mit zerkratzten Beinen schläft auf einer Treppe im Freien, bevor sie sich an einem Brunnen wäscht. Später erfahren wir, dass sie aus Katalonien stammt, Mercè heißt und aus einem Lager abgehauen ist. Noch später gibt sie sich als Widerstandskämpferin zu erkennen, die als Bergführerin Flüchtlinge über die nahe Grenz schmuggelt. Doch das alles weiß die Marktgängerin Léa (Claudia Cardinale) noch nicht, als sie das schöne, anmutige Mädchen vom Fleck weg als Modell für ihren als Maler und Bildhauer arbeitenden Mann engagiert, der sich seit Jahren in einer Schaffenskrise befindet. Kurz darauf nimmt Mercè Logis in dem faszinierenden Atelier-Häuschen des Künstlers, das abgeschieden auf einer Anhöhe liegt.
Das titelgebende Verhältnis des Malers zu seinem Modell wurde als Sujet in den letzten Jahren im Kino vielfach aufgegriffen. Wechselnde Facetten finden sich etwa in Jacques Rivettes „Die schöne Querulantin“, Peter Webbers „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ oder jüngst in Gilles Bourdos‘ „Renoir“. Wie letztgenannter Film beschäftigt sich auch Truebas Hommage an den Triumph der Schönheit mit dem schmerzlichen Nachdenken über das Verhältnis von Alter und Jugend, Leben und Tod. Doch die Blicke und Gefühle, die, vermittelt durch die beiden Protagonisten, zwischen diesen Polen liegen, hüllt der Regisseur schamvoll zurückhaltend in ein spannungsvolles Schweigen, in dem wiederum auf ganz eigene Weise Liebe, Erotik und Sinnlichkeit miteinander verschmelzen.
Im Motiv des Künstlers als Lehrer reflektiert Fernando Trueba darüber hinaus eine Theorie der Kunst, die der realistischen Darstellung verpflichtet ist. Es gehe darum, sagt Marc Cros einmal, indem er Paul Cézanne zitiert, „den Rat der Natur“ einzuholen, um einen Moment aus dem vielgestaltigen Kontinuum der Natur und ihren wechselnden Formen herauszulösen. Dass dabei die Frau als unmittelbare Erscheinung der göttlichen Schöpfung im Mittelpunkt seiner Arbeit stehe, gehört zu den ebenso amüsanten wie erhellenden Spitzfindigkeiten des Portraitierten. Dass seine langwierige Suche nach dem notwendig wahren Moment in der Kunst schließlich in einer Skulptur der Trauer über die (eigene) Endlichkeit kulminiert, macht diesen subtilen Film am Ende ebenso tragisch wie tröstlich.