Charlies Welt – Wirklich nichts ist wirklich

(USA 2012; Regie: Roman Coppola)

Film als reines Privatvergnügen

Erwachsenwerden ist auch keine Lösung. Roman Coppola, Sohn von Francis Ford und Bruder von Sophia, hat seine Meriten als Drehbuchautor an der Seite von Wes Anderson („The Darjeeling Limited“, „Moonrise Kingdom“), als Produzent von „Somewhere“ und „On the Road“ und als Regisseur von Musikvideos für The Strokes und Daft Punk verdient.

Sein Spielfilmdebüt „GQ“, eine experimentelle Film-im-Film-Hommage an den Pop der späten sechziger Jahre mit Verbeugungen vor „Modesty Blaise“, „Barbarella“ und Fellini, kam hierzulande nicht in die Kinos und war an den US-Kinokassen ein veritables Desaster.

„Charlies Welt“, der im Original den ungleich schöneren und treffenderen Titel „A Glimpse Inside the Mind of Charles Swan III“ trägt, erzählt von der midlife crisis des erfolgreichen Werbegrafikers Charles Swan III, dessen Leben komplett aus den Fugen gerät, als ihn seine Freundin Ivana verlässt. Wie in Trance stolpert Charles Swan III, gespielt von Charlie Sheen, durch ein surreales Kunst-Hollywood, das vollgestellt ist mit stylisher Pop Art und allerlei Regulars aus den Filmen von Wes Anderson: Jason Schwartzman und Bill Murray glänzen in Nebenrollen, Patricia Arquette ist auch von der Partie als Charles Schwester Izzy.

Charlie Sheen, der hier natürlich auch mit seinem öffentlichen Image als aus dem Ruder gelaufene Skandalnudel spielt, bekämpft seine Depressionen mit Alkohol und flüchtet sich in der Rolle des Kindskopfs, der die Frauen liebte, in Tagträume, die der Film dann sogleich in die (Film-) Realität überführt. Das führt zu amüsanten Sketch-Szenen, wenn beispielsweise Sheen und Schwartzman im Tom Mix-Cowboy-Outfit durch die Wüste reiten und plötzlich auf eine Gruppe sexy Indianerinnen treffen, die sich an einem Wasserloch waschen.

Angelockt von diesen Sirenen / Amazonen, geraten die beiden unbewaffneten Männer in einen Hinterhalt, bis ihnen von John Wayne / Bill Murray ein Gewehr gereicht wird. Trotzdem wird Sheen beim Versuch, mit der Anführerin der Indianerinnen, die wie Ivana aussieht, von einem Pfeil getroffen – und erwacht im Krankenhaus. Charlie ist, ein Blick in seinen Kopf hat das zu Beginn des Films unmissverständlich klargestellt, ein lässiger und larmoyanter Macho, dessen Hirn zu 70% ausschließlich mit Sex beschäftigt ist.

Mindestens so lässig wie sein Protagonist ist auch Coppolas Film selbst, der es sich mittels der Tagtraum-Logik erlaubt, jedem Einfall zu folgen, sei dieser nun gut (wie die Indianerszene) oder auch nur halb gut (wie die Begegnung mit russischen Taxifahrern, die nebenher Kaviar schmuggeln). „Charlies Welt“ erinnert immer wieder an jene kurze Phase des „New Hollywood“, als junge Kreative begannen, ihre Version der Nouvelle Vague als Fans in Szene zu setzen: man denke nur an Bob Rafelsons Monkees-Film „Head“. (Charles Swan(n) ist übrigens der Name des Protagonisten von Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“.) Dazu passt nicht nur, dass Charlie als Künstler auch für die Gestaltung des Covers des neuen Albums seines besten Freundes „Kirby“ (Schwartzman), einem jüdischen Countrysänger, zuständig ist, dessen Shooting als „Kitchen Sink Cowboy“ schließlich das Finale des Films ausmacht.

Dazu passt auch, dass Charlie bei der finalen Begegnung mit Ivana nicht nur eine überbordende Liebeserklärung macht, sondern seine Zukunftsvorstellung auch gleich als brillante Shownummer phantasiert: er und Ivana überzeugen mit einer grandios schmierigen Interpretation von „Aguas De Marco“ von Tom Jobim. In der Manier von Al Bano und Romina Power, versteht sich. Charlie singt auf portugiesisch und parliert mit seiner Haushälterin in Gegenwart eines Tukan, den er als Haustier hat, auf spanisch.

Dazu passt besonders, dass Coppola seinen ganzen Film auch als Vehikel instrumentalisiert, um einen Musiker vorzustellen, dessen Talent hinreicht, um den Besuch dieses Films anzuraten: Liam Hayes. Der Musiker darf im Laufe des Films ein gutes Dutzend eigener Songs spielen, ergänzt noch um zwei Songs, die von Coconut Records interpretiert werden, wohinter sich ein (gleichfalls sehr empfehlenswertes) Musikprojekt von Jason Schwartzman verbirgt.

Am Ende dieses sehr entspannten, fast schon skizzenhaften Films, der sich mehr für Style als für Inhalt interessiert, gönnt sich Coppola dann noch die Volte, die Figuren aus ihren Rollen heraustreten zu lassen und sich dem Publikum vorzustellen. In einer ungeschnittenen Einstellung am Strand mit Kran-Einsatz – wie damals, am Ende von Godards „One Plus One“ oder am Anfang von Orson Welles‘ „Im Zeichen des Bösen“.

Benotung des Films :

Ulrich Kriest
Charlies Welt - Wirklich nichts ist wirklich
(A Glimpse Inside the Mind of Charles Swan III)
USA 2012 - 85 min.
Regie: Roman Coppola - Drehbuch: Roman Coppola - Produktion: Roman Coppola, Youree Henley - Bildgestaltung: Nick Beal - Montage: Robert Schafer - Musik: Liam Hayes, Roger Neill - Verleih: Koch Media - FSK: ohne Altersbeschränkung - Besetzung: Charlie Sheen, Jason Schwartzman, Bill Murray, Katheryn Winnick, Patricia Arquette, Aubrey Plaza, Dermot Mulroney, Mary Elizabeth Winstead, Paul Benshoof, Angela Lindvall, Anne Bellamy, Tyne Stecklein, Lindsey McLevis, Lexy Hulme, Bar Paly
Kinostart (D): 02.05.2013

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2044729/