Der Weg von der Kellnerin in Dwight’s Bar irgendwo in Iowa zum Star in der Burlesque Lounge von Tess in L.A. ist als Filmhandlung natürlich völlig unoriginell. Ähnliches gibt es, seit der Tonfilm die Revue, das Musical, die Musik für sich entdeckt hat. In „Burlesque“ geht Christina Aguilera in ihrer Rolle als Ali diesen ausgetretenen Pfad – Ali ist die Kurzform von Alice, und viel zu wenig wird die Burlesque-Welt als Wunderland dargestellt.
Es hapert an der Präsentation dieser Handlung, die Dramaturgie holpert und stolpert sich so durch, mit viel Hin und Her zwischen Ali und Tess, gespielt von Cher als gütig-streng-mütterliche Mentorin; zwischen Ali und ihrer zickig-intriganten Tanzkollegin Nikki; zwischen Ali und ihrem Mitbewohner, die nicht so recht als Liebespaar zueinander finden; zwischen Ali und dem elegant-schleimigen Immobilienhai, der sie umgarnt; zwischen dem elegant-schleimigen Immobilienhai und Tess, der er den Club abkaufen will… Zwischendurch heiratet noch eine Tänzerin einen Typen, der wohl in der clubeigenen Band spielt, aber das geht unter; wie auch Alan Cumming als geschlechtsambivalenter Portier nur zwei Sätze sagen und dreimal in die Kamera grinsen darf, damit völlig verschenkt ist: offenbar wurden einige Nebenhandlungen im Endschnitt weggehackt. Dafür hat Peter Gallagher als Miteigentümer von Tess’ Club überlebt, obwohl er im Film überhaupt keine Funktion hat und nur pessimistisch in die finanziell düstere Zukunft gucken darf. So sind die meisten der Plotschlenker schlicht überflüssig, und alles, was an Handlung da ist, ist eigentlich zu lang.
Schauspielerisch wird das alles solide, aber ohne Raffinesse dargebracht. Christina Aguilera spielt erstmals eine Hauptrolle außerhalb von Musikvideos, und sie spielt mehr oder weniger sich selbst, oder eine Version von sich, spielt eine Möglichkeit durch, die sie selbst, wie sie sich sieht und fühlt, wie sie gesehen werden möchte, sein könnte. Was ihr nicht gerade einen Darsteller-Oscar einbringen dürfte. Cher spielt unbewegt, wie sie immer spielt; wie sie auch nicht anders kann, weil sonst ihre gestraffte Gesichtshaut zersplittern würde. Die anderen tun das, was man von ihnen erwartet – mit Ausnahme von Stanley Tucci als Inspizient und verständnisvoller Tröster, der mit voller Spielfreude überall herumwuselt.
Aber auf all das kommt es ja nicht an in „Burlesque“.
Es geht um die Musiknummern, und um deren Präsentation durch Aguilera als Hauptact und Cher in ein paar Intermezzi: das ist das Rückgrat des Films, und hier kommt auch tatsächliches Feeling rüber. Denn hier lebt der Film, und er ernährt sich von der filmischen Montage. Gleich am Anfang, noch als Kellnerin bei Dwight, fängt Ali an zu singen, auf einem Kneipentisch drängt das Lied aus ihr heraus, all die Hoffnungen und Träume quellen aus ihr hervor. Und da zeigt sich, was der Film kann, wenn er sich auf seinen Musicalcharakter besinnt: nämlich in der Montage Welten verbinden, Alis Realität und ihre Wunschgedanken, ihre Gegenwart und ihre Zukunft als Burlesque-Star, das Leben und die Bühne. Das geht so weiter in den Tanz- und Gesangsnummern in der Burlesque Lounge, wenn die Musik allumfassend über die Bühne hinaus in den Zuschauerraum, von der Filmszene auf den Film selbst übergreift, um den bloßen Auftritt zur überhöhten Bühnen-Musical-Burlesque-Show werden zu lassen.
Aguilera und Cher stellen ihre Tanz- und Sangeskünste in die Tradition, huldigen ihren Vorbildern – Etta James wird namentlich genannt – und zeigen sich als Nachfolgerinnen der Burlesque-Shows, eine Art frivole Variante des Vaudeville, in der die Künstlerinnen sich mit all ihrer Körperlichkeit in ihre Nummern werfen, Tanz, Akrobatik, Gesang und, nun ja: auch ein bisschen neckisch-kokettes Strippen. Wobei nein, das darf man nicht sagen, das lehrt einen der Film: keine Stangen auf der Bühne, keine komplette Nacktheit: kein Strip, nur Tease.
Wer nun aber mehr haben will als Aguilera-Gesang außerhalb von Musikvideos, wer tatsächlich eintauchen will in die Burlesque-Welt: Der sollte sich nach Mathieu Amalrics „Tournée“ umsehen. Der ist zwar etwas durchwachsen und allzu unzusammenhängend, wenn er Amalric als Tourmanager einer New-Burlesque-Truppe auf Tournee durch Frankreich zeigt; aber immerhin präsentiert er tatsächliche Showkünstlerinnen – Mimi Le Meaux, Kitten on the Keys, Dirty Martini heißen die zum Beispiel, und dokumentarisch werden ihre Nummern in voller Länge gezeigt, Tanz, Gesang und ja: auch Nacktheit, üppige, weiblich-leibliche Nacktheit, bizarr verzerrt. Eine bläst mal um sich einen Luftballon auf; der einzige männliche Künstler strippt als Louis XIV.; eine zieht sich mit (scheinbar) abgehackter Hand aus.