Fotograf Thomas (David Hemmings) verirrt sich in ein Konzert der „Yardbirds“. Ein regungslos dastehendes Publikum starrt auf eine ekstatische Band. Der Gitarrist ärgert sich darüber, dass der Verstärker nicht richtig funktioniert und zertrümmert wütend an ihm seine Gitarre. Den abgebrochenen Hals wirft er in die Menge, die – plötzlich zum Leben erwacht – sich für diese Trophäe umbringen möchte. Thomas – sonst eher Jazzfan – fängt das Teil, verteidigt es vehement und flieht mit ihm nach draußen, wo er bei nochmaliger Begutachtung dessen völlige Wertlosigkeit realisiert und es wegwirft.
„Blow-Up“ von Michelangelo Antonioni ist ein Film der Bedeutungen und Bedeutungslosigkeiten. 1966 im „Swinging London“ gedreht ist der Film ein genau beobachtender Zeuge einer Zeit und eines Ortes der Umbrüche und Paradigmenwechsel.
Der geschäftstüchtige Thomas ist eben gerade so zynisch, wie es die Gegebenheiten erfordern, also extrem: Gelangweilt behandelt er die Models wie Dreck, die bereit sind, alles dafür zu tun, von ihm fotografiert zu werden; die Session mit dem Starmodel (Veruschka) praktiziert er wie einen Geschlechtsakt, bei den beiden Mädchen, die von ihm entdeckt werden wollen, lässt er die Kamera einfach gleich weg. Mit zielloser Neugierde treibt es Thomas und seine Kamera durch ein London, das gerade den Style erfindet. Style, der über Fashion hinausgeht. Wenn zwei Schwule mit weißen Pudeln in einem Stadtteil auftauchen, weiß Thomas, dass sein dortiges Kaufobjekt, der verstaubte Antiquitätenladen, eine Goldgrube werden wird. Selbstbewusstes Schwulsein ist (auf einmal) schick und „cool“ – und wird schon als konjunkturfördernd erkannt. Wenn Thomas auch einen sicheren Instinkt für neue „Trends“, für „Szene“ (das Wort gab es damals noch nicht, aber vermutlich wurde diese Sache im London 1966 geboren) besitzt, dann lässt ihn dieser Instinkt gleichgültig, weil er mit dem Mechanismus zugleich dessen Hohlheit erkennt oder erspürt. Die Oberfläche ist alles, der innere Wert zweitrangig, austauschbar, vernachlässigbar. Thomas – als Fotograf prädestiniert – ist Dokumentarist dieser Oberfläche. Mit derselben kühlen Distanz, mit der sie ästhetisch arrangierte, 'ausgeflippte' Modefotos schießt, beobachtet Thomas’ Kamera das Elend der Männer im Obdachlosenasyl. Ob arrangiertes oder vorgefundenes Objekt, immer ersetzt das Kameraauge das des Subjekts. Naturgemäß sind es dann auch die Vergrößerungen (Blow-Ups) der Fotos, die Thomas in einem kleinen Park gemacht hat, die den Tathergang eines Mordes schildern – er selbst hat nur geknipst, was ihm vor die Linse kam.
Nach intensiver detektivischer Rekonstruktion vergrößert Thomas das Abbild einer Leiche hinter einem Busch heraus.
So, als sei sie der Nachweis einer wirklicheren Wirklichkeit, eine Bedeutung hinter der Entwertung der Dinge, kommt auf einmal Leben in ihn. Er findet die Leiche im Park, geht nicht zur Polizei, versucht jedoch Bekannten von ihr zu erzählen, aber die haben andere Probleme, sie leben in anderen, ihren Welten, probieren Marihuana, sind in „Paris“, obwohl sie in London sind. Entsprechend seiner völligen Belanglosigkeit ist der Tote, als Thomas am nächsten Morgen nachsieht, verschwunden.
Auch Thomas verschwindet, im Augenblick da der Film zu Ende geht, nachdem er einer Gruppe Hippies beim pantomimischen Tennisspiel ohne Ball zugesehen und ihnen den „Ball“ zugeworfen hat, als er über den Zaun geflogen war. Es ist also nur das real, was für den einzelnen real ist, sprich, was mit individueller Bedeutung aufgeladen ist, und: Phantasie an die Macht! (Verzückung heischende Parole etwa des „Roncalli-Zirkus“, – man stelle mir lieber keine Fragen, wie ich Pantomimen finde.)
Der Film endet jedenfalls damit: Der Protagonist Thomas ist weg. Es bleibt nur der grüne Rasen des gleichgültigen Universums. Wieder sind wir auf uns allein gestellt – und auf unsere Interpretationen, aber in diesem Film waren wir es schon die ganze Zeit – so wie selbstverständlich auch in diesem unseren Leben.
Um drei Themen kreist Antonionis Film:
Das erste kehrte seit seinen früheren Filmen „L’Avventura“, 'Die Nacht“ oder „Liebe 1962“ immer wieder: Die Entfremdung des Menschen von sich selbst. Beziehungslosigkeit wurde in den frühen Antonionis noch problematisiert, in „Blow-Up“ wird sie eigentlich schon als normale Prämisse vorausgesetzt. Die Kälte, die Zweckdienlichkeit der menschlichen Beziehungen hat nur eine neue Qualität: Sie wird vom Markt – hier der Modeindustrie – eingefordert und deshalb von allen fraglos akzeptiert.
Zweites Thema: Es gibt auch eine Gegenbewegung, das sind kleine Gruppen von Demonstranten (denen Thomas – vielleicht auch Antonioni – Sympathie entgegenbringt) und eben jene Horde Hippies, die zum Schluss „Tennis“ spielen und am Anfang zu zehnt in einem offenen Auto reisen und dabei krakeelen. 1965 und 1966 waren die Hoch-Zeit der Hippies, in dieser Zeit steckte die Verheißung neuer, kritischer Umwälzungen, die Anfänge der Studentenbewegung und kontramaterialistischer Philosophien. Mag sein, dass Antonioni von dieser nonkonformistischen Jugend beeindruckt war. Der Schluss von „Blow-Up“ ist ein seltener Hoffnungsschimmer in seinem Werk, der in seinem nächsten Film „Zabriskie Point“ einem großen Pessimismus und einer großen Wut angesichts des Scheiterns gesellschaftlicher Gegenbewegungen gewichen ist.
Drittes Thema: Selbsthinterfragung des Mediums Film und die Realität von Bildern. Was geben Bilder wieder, sind sie realer als die Welt? Wie wenig verlässlich sind deren Deutungen? Als eine Freundin die vergrößerte Aufnahme mit der Leiche sieht, sagt sie: 'Das sieht aus, als hätte es mein Freund gemalt.' Annäherungsversuche an die Wirklichkeit, durch das angeblich dokumentaristische Foto und die Kunst. Hier vermögen beide genau so wenig/viel. Hier begegnen sich das Hochartifizielle und das technische Medium. Das bewusst Verfremdende und das unfreiwillig Verfremdete, das ja eigentlich nicht verschleiern, sondern besser erkennen wollte, gleichen sich. Die Wahrheit ist etwas Verschwommenes.
Die Hippiegruppe, die am Beginn des Films kreischend in einem offenen Jeep reist, wird in der Filmgeschichte übrigens wiederkehren: am Anfang von „Mulholland Drive“, dem „Blow-Up“ von David Lynch …