Blow Out – Der Tod löscht alle Spuren

(USA 1981; Regie: Brian de Palma)

Ende einer Ära

Alles dreht sich im Kreis. Die Spulen der Tonbandgeräte, die John Travolta in einer Szene hermetisch einzuschließen, zu umzingeln scheinen, die Kamera, der Film und alle Figuren in ihm. Aber eben auch: der Filmstreifen in der Kamera, im Projektor. Und, so sagt es Brian de Palma, der vielleicht mit „Blow Out“ sein ultimatives Meisterwerk vorlegte, die Kamera lügt, 24-mal in der Sekunde. Nicht in einem Netz findet sich Travolta in diesem Film wieder, sondern in einer endlosen Spirale der Lügen und Inszenierungen, der Täuschungen und Ent-Täuschungen, der Traumata und vergeblichen Hoffnungen. Was auf der Strecke bleibt, während sich die Spirale, der Film im Projektor, weiter dreht, ist die Wahrheit. Auch die Liebe vielleicht, wenn es sie denn je gegeben hat (und: wer weiß das schon? Wer weiß überhaupt irgendwas in einem Film von Brian de Palma, diesem Meister der Verunsicherung?). Also kehrt am Ende, wenn sich die Kamera um John Travolta und Nancy Allen dreht, das Feiertagsfeuerwerk, hinter ihnen, um sie herum, alles zurück: das Trauma des Protagonisten, der Film dorthin, wo er begonnen hat.

Ekkehard Knörer bezeichnet Brian de Palma als „den wichtigste[n] Vertreter einer typischen Bewegung in der Formengeschichte aller Künste […], einer manieristischen Reaktion aufs Klassische“, also auf Hitchcock (auf dessen wohl ikonischste Szene, den Duschmord in „Psycho“, de Palma in seinen Filmen immer wieder zurückkommt, so auch in dem (Slasher-)Film-im-Film, mit dem „Blow Out“ beginnt, und wo diese Szene, ähnlich wie in Tobe Hoopers im selben Jahr entstandenen „The Funhouse“, in den Untiefen der „U-Kultur“ angekommen scheint), also auf Antonioni (dessen „Blow Up“ bereits im Titel anklingt, wobei jedoch die Prämisse dieses Films, in dem ein Fotograf durch immer weitere Vergrößerung eines Bildes versucht, ein Verbrechen aufzuklären, hier vom Visuellen ins Akustische verschoben wird).

In dieser Hinsicht stellt „Blow Out“ wohl einen (wenn nicht den) Kulminationspunkt im Schaffen de Palmas dar: Mehr Manierismus geht nicht! Der Film ist ein wahres Lexikon der stilisierten Filmsprache! So gibt es die wunderbare agile Plansequenz zu Beginn, für die Garret Brown, wie ein Jahr zuvor in „The Shining“, die von ihm erfundene Steadicam führte. In zahlreichen Einstellungen wurde ein Split-Diopter genutzt, um verschiedene Bildebenen scharf im Fokus zu haben (besonders eindrucksvoll in einer Einstellung, in der im Vordergrund eine Eule, im Hintergrund Travolta zu sehen ist oder einer anderen, in der, eine Reminiszenz an „The Night of the Hunter“, riesig ein Frosch im Bildvordergrund sitzt, ohne dass die Brücke hinter ihm deshalb out of focus wäre). Hiermit wie auch mit den direkten Split-Screens, einem weiteren Markenzeichen dieses Filmemachers, zeigt sich, wie genau die Cinemascope-Einstellungen dieses Films durchkomponiert sind, in denen immer wieder in unterschiedlichen Bildebenen Unterschiedliches passiert. Zu den komplizierten Dolly-und „Karussell“-Shots, bei denen sich die Kamera um sich selbst respektive die Protagonisten dreht, gesellen sich im Finale Furioso noch extreme Zeitlupen.

Zur extremen Stilisierung kommt noch die Selbstreflexivität des Films, der ja von Anfang an (auch) einer über das Filmemachen ist, in dem sich die Inszenierung von Wirklichkeit, als Prinzip des fiktionalen Films, bis in diverse Subplots hinein spiegelt. So kommt der Plot dadurch in Gang, dass Travolta, der den Allerweltsnamen Jack trägt, als Soundmann auf einer Brücke Geräusche für einen B-Film sucht, wobei er Zeuge eines Unfalls wird, hinter dem er durch einen Schuss, den er meint gehört zu haben, ein Verbrechen, später gar eine groß angelegte Verschwörung entdeckt. Er rettet Sally (Nancy Allen) aus einem im Fluss untergehenden Auto. Sie verdiente ihr Geld damit, sich mit Politikern oder anderen einflussreichen Männern in zwielichtigen Posen ablichten zu lassen, ohne, so behauptet sie zumindest, mit ihnen Sex zu haben. Eine weitere, im Bild manifest werdende Täuschung, Inszenierung. Über Jack erfahren wir, dass er einst für die Polizei arbeitete, bis ein Undercover-Ermittler durch einen Fehler, den er beim Anlegen einer Wanze machte, von Gangstern ermordet wurde. Die Rückblende ist fast wie ein weiterer Film-im-Film angelegt, diesmal kein Slasher, sondern ein Polizei-Thriller, und zeigt, dass das Aufdecken einer Inszenierung in der Welt dieses Films, wie in der etlicher Genrefilme vor und nach ihm, tödlich enden kann. Schließlich ist da noch John Lithgow als psychopathischer Killer, der eine ganze Mordserie „inszeniert“, obwohl es ihm doch eigentlich nur um ein einziges Opfer geht. Thomas Groh zeigt in seinen Anmerkungen auf, wie Jacks Rekonstruktionsarbeiten an den Bildern, die ein Fotograf von dem „Unfall“ geschossen hat, mit der Unterlegung der Tonspur seiner eigenen Aufnahmen die gesamte Genese des Mediums Film nachempfinden: „Aus einzelnen Bildern wird ein Daumenkino, daraus ein Stummfilm und schließlich, unter Hinzunahme der vorliegenden Tonspur, ein Tonfilm“.

Das faszinierende, das großartige an „Blow Out“ ist aber, dass alle Stilisierung und alle Selbstreflexivität hier nicht zu einer Distanzierung der Zuschauenden vom Geschehen auf der Leinwand führt. Die Tragödie der Travolta-Figur, die kein Held werden, nicht die Frau retten kann und schon gar nicht die Welt, trifft einen in der finalen Pointe mit voller, niederschmetternder Wucht. Lukas Foerster schreibt über den in den späten Siebzigern zu Starruhm gelangten John Travolta, er stehe ein „für eine neue Schauspielergeneration, die auch eindeutig nicht mehr New Hollywood angehört, das sieht man schon ihren Körpern an, erst recht ihrem Schauspiel.“ Mag das New Hollywood offiziell auch mit dem kolossalen Scheitern gigantomanischer, irrsinniger Produktionen wie „Apocalypse Now“ und „Heaven’s Gate“ enden sowie dem Aufkommen des Blockbusters, der den Studios zeigte, wie viel Geld man mit Filmen tatsächlich verdienen konnte, die kulturelle und politische Aufbruchsstimmung der Sechziger und Siebziger endet im US-amerikanischen Kino 1981 mit dem Schluss von „Blow Out“. Wenn der Mann, der immer versucht hatte Gutes zu tun, auf der richtigen Seite zu stehen und allem, der Wahrheit und der Liebe, zum Greifen nah war, nur damit ihm schließlich alles durch die Finger rinnen konnte, sich wieder in seinem Tonstudio verkriecht, um weiterhin billige Exploitationfilme zu vertonen, endet nicht nur ein Film, sondern eine Ära.

(Pink Floyd sangen schon zwei Jahre zuvor: But it was only a fantasy / The wall was too high as you can see / No matter how he tried he could not break free / And the worms ate into his brain)

Zur Blu-ray: Während „Blow Out” im Ausland schon lange in formidablen Blu-ray-Editionen vorliegt, etwa der Criterion Collection in den USA, gab es hierzulande bislang nur eine ziemlich schmucklose und über dies schon lange vergriffene DVD. Dem schafft Koch Media nun Abhilfe, indem sie den Film im Mediabook veröffentlichen, dass den Film auf beiden Formaten sowie eine Bonus-DVD enthält. Letztere beinhaltet einige Interview-Featurettes, in denen sich Produzent John Litto und Nancy Allen darüber freuen, dass der Film, der einst an den Kinokassen floppte, sich seitdem stetig zunehmender Beliebtheit erfreut. Das Interview mit dem Komponisten Pino Donaggio sowie der Booklet-Text von Martin Beine sind exklusiv für diese Edition angefertigt. Das interessanteste Gespräch ist aber sicherlich das mit Vilmos Zsigmond, mit imposant hoher Augenbrauenpartie und charmantem Akzent erinnert sich der Kamerameister an die Dreharbeiten und gibt ausführliche Auskunft über die Bildgestaltungsmanie de Palmas. So finden sich die amerikanischen Nationalfarben Rot, Blau und Weiß in diesem „Feiertagsfilm“ immer wieder in der Komposition einzelner Einstellungen, bis hin zur Kleidung der Protagonisten. Dieser vermeintliche Patriotismus erscheint in diesem inhaltlich so schwarzmalerischen Film natürlich als blanker Hohn.

Benotung des Films :

Nicolai Bühnemann
Blow Out - Der Tod löscht alle Spuren
(Blow Out)
USA 1981 - 107 min.
Regie: Brian de Palma - Drehbuch: Brian de Palma - Produktion: George Litto - Bildgestaltung: Vilmos Zsigmond - Montage: Paul Hirsch - Musik: Pino Donaggio - Verleih: Koch Media - FSK: ab 16 Jahren - Besetzung: John Travolta, Nancy Allen, John Lithgow, Dennis Franz, Peter Boyden, Curt May, John Aquino, John McMartin, Deborah Everton, J. Patrick McNamara, u.a.
Kinostart (D): 07.05.1982

DVD-Starttermin (D): 23.06.2016

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt0082085/?ref_=nv_sr_1
Link zum Verleih: http://shop.kochmedia.com/shop/de_AT/productdetail.html?fmt=tile&psize=12&nav2=COM&nav1=FILM&page=0&id=1016330
Foto: © Koch Media