Eine nackte junge Frau schreitet die Treppen vor Sacre-Coeur hinab. Die so abgelenkte Aufmerksamkeit geifernder, applaudierender, eifrig fotografierender Männer macht sich Michael Mason (Richard Madden) zunutze, um ihnen mit flinken Füßen und noch viel flinkeren Fingern allerlei Wertgegenstände zu entwenden. Beinahe tänzelnd bewegt er sich von einem seiner Opfer zum nächsten. Ebenso flink wird er wenig später in der U-Bahn die junge Frau, die sich inzwischen angezogen hat, abservieren. Damit beendet der Film auch das Thema Paar-Beziehungen, da ist er noch keine fünf Minuten alt, ohne jemals wieder darauf zurück zu kommen. Im weiteren Verlauf geht alles so schnell und ist dabei derart aufs Wesentlichste reduziert, dass für Liebesdinge schlichtweg keine Zeit bleibt.
Michael ist Amerikaner, der sich in Paris sein Geld damit verdient, die Dinge zu verhökern, die er mit größtem Geschick klaut. Jedoch nimmt sein Schicksal eine unerwartete Wendung, als er eines Nachts der jungen Zoe (Charlotte Le Bon) eine Tasche klaut, die er, weil sie nichts Brauchbares enthält, auf einem Platz achtlos hinter sich schmeißt – und es plötzlich gewaltig rumst und vier Menschen ihr Leben verlieren. Denn in der Tasche befand sich eine Bombe, die Zoe in der vermeintlich leeren Zentrale einer nationalistischen Partei platzieren sollte, wobei sie jedoch einen Rückzieher machte, als sie merkte, dass sich in dem Gebäude eine Putzkolone befand. Michael wird zum Terrorverdächtigen und gerät damit ins Visier des in Paris operierenden, knallharten CIA-Agenten Sean Briar (Idris Elba), den er jedoch bald von seiner Unschuld überzeugen kann. Gemeinsam mit Zoe suchen sie nach den wahren Terroristen und kommen dabei einer Verschwörung auf die Spur, die sich in bis in höchste Regierungskreise erstreckt.
Die Figur des hart gekochten, kräftig zupackenden Agenten, der es mit seinen Vorgesetzten und ihren Befehlen eher nicht so hat, sieht Regisseur James Watkins, der sich mit seinem Debüt, dem noch in seiner britischen Heimat entstandenen Backwood-Splatterfilm „Eden Lake“ (2008), selbst als Mann fürs Grobe vorstellte, in der Tradition von Filmen wie „Dirty Harry“, „The French Connection“ oder „48 Hours“. Nun sind solche Vergleiche zur klassischen Moderne des Action-Kinos leicht gezogen, besonders wenn es darum geht, einen Film zu vermarkten. Das Erstaunliche ist aber, dass Idris Elba, der sich mit seiner Rolle als Dealer Stringer Bell in der visionären HBO-Serie „The Wire“ für Hollywood empfahl, tatsächlich eine Ausstrahlung und eine rein physische Präsenz an den Tag legt, wie sie Clint Eastwood, Gene Hackman oder Nick Nolte in ihren besten Tagen hatten (und tatsächlich steht Elba trotz seines hünenhaften Äußeren eher in der Tradition dieser Action-Mimen als der Generation nach ihnen, in den Achtzigern um Schwarzenegger und Stallone).
Georg Seeßlen schrieb über „Dirty Harry“ einmal, dass der Film mitnichten so rechts sei wie sein Protagonist. Das Update dieser Figur ist in der sich stetig verkomplizierenden politischen Realität des Jahres 2016 längst aus allen ideologischen Zusammenhängen gefallen. Die Motivation seines Handelns hat nichts mehr mit irgendwelchen Weltbildern zu tun. Einmal behauptet er, er tue, was er tut, weil sein Widersacher eine von ihm sehr geschätzte CIA-Kollegin auf dem Gewissen habe, aber das bleibt wenig glaubhaft. Vielmehr geht es ihm wohl um die pure Lust am Prügeln und Schießen und Befehle missachten. Und man kann Elba kaum genug dafür loben, dass dieser Brutalo-Anarchist, dem der Filme konsequent eine Back- oder Lovestory sowie jegliches andere Attribut verweigert, dass ihn menschlicher machen könnte, nicht nur charmant, sondern sogar sympathisch wirkt.
Noch viel toller ist es allerdings, dass diese Figur in den Kontext eines Films gestellt wird, der entgegen seines sonstigen Tempos ganz langsam eine dezidiert linke Agenda entwickelt. Da bekommt der Super-Agent Hilfe von einem Dieb und einer Frau unter Terrorverdacht, ja, im Finale sogar von linken Demonstranten, die eine Bank stürmen und damit in Anlehnung an den Titel gar eine neue Französische Revolution ausrufen, die für Momente geradezu physisch greifbar wird. Da nutzen nationalistische Politiker den Terror, um in den Nachrichten gegen muslimische Zuwanderer zu hetzen, von denen denn auch einer, wie wir ebenfalls aus den Nachrichten erfahren, von der Polizei auf einer Demo krankenhausreif geschlagen wird (das Paris des Films, der durchweg an Originalschauplätzen gedreht wurde, sieht sowieso nur manchmal aus wie aus der Gauloises-Werbung und wird inhaltlich mehr und mehr zu einem sehr konkreten historischen Ort). Da wird der Terrorismus zum Deckmantel, unter dem Leute aus den höchsten politischen Kreisen agieren, denen es, wie ihren Vorgängern im ersten „Stirb langsam“-Film, letztlich nicht um Politik, sondern um sehr viel Geld geht. Im Kontext des Genres mag man an Steven Seagal denken, der nach den Ausführungen seines großen Apologeten Vern, im Gegensatz zu seinen reaktionären Kollegen, Action-Filme immer wieder mit linken Politics anreichert oder auch an eine wesentlich konkretere Version des rührend infantilen Anti-Establishment-Duktus von James Camerons „Terminator 2“ (1992), in dem die Guten Rockerkluft und Public Enemy-T-Shirt und die Bösen fast durchweg Uniform tragen.
Was die Inszenierung der Action anbelangt, ist Watkins kaum etwas daran gelegen, das Rad neu zu erfinden. Er verzichtet auf CGI und setzt stattdessen auf die Unmittelbarkeit von Handkameras, die oft in subjektiven Einstellungen eingesetzt und immer direkt im Geschehen sind. Einen frühen Höhepunkt (und genau das richtige für Menschen mit Höhenangst wie mich) stellt eine Verfolgungsjagd über die Spitzdächer von Pariser Altbauten dar. Später geht es unter anderem im Laderaum eines zeitweise fahrerlos dahin schlingernden Transporters mächtig rund. Das World Building ist in „Bastille Day“, darin ist er „Mad Max: Fury Road“ nicht unähnlich, nichts was unabhängig von der Action geschieht, sondern es entsteht quasi nebenbei, während der Film mit atemberaubender Geschwindigkeit von einem set piece zum nächsten hetzt. Was Watkins gelungen ist, ist ein spektakulärer, brillant gespielter thinking man’s action movie ohne falsche intellektuelle Allüren. Hut ab!
Dies ist die leicht erweiterte Version eines Textes, der zuerst beim Perlentaucher erschienen ist.