Am Ende hat es ihn, der einmal Amerikas tödlichste Waffe war, dann doch erwischt. Aber nicht im Irak, sondern irgendwo in Texas auf einem Schießplatz, als er zusammen mit einem Freund einem traumatisierten Veteranen mit Schießübungen neues Selbstbewusstsein einimpfen wollte. In solcherart Sozialarbeit hatte der Scharfschütze Chris Kyle nach vier mehrmonatigen Kriegseinsätzen im Irak mit seinen legendären 160 bestätigten „Kills“ gerade eine neue Mission gefunden, nachdem er selbst einige Zeit recht autistisch seine Rückkehr ins Zivilleben gepflegt hatte. Gefährlich für Hunde in der Nachbarschaft und von der Familie nicht ansprechbar.
„American Sniper“, die Verfilmung der Bestseller-Memoiren von Chris Kyle unter der Regie von Clint Eastwood und mit dem Produzenten Bradley Cooper in der Hauptrolle, hat in den USA eine schöne, polarisierende Kontroverse auslösen können, weil der Film so tut, als behaupte er eine ambivalente Haltung zwischen Heldentum im Krieg (Super!) und dessen Konsequenzen für die Familie daheim (Nicht so super!). Michael Moore meldete sich früh zu Wort und gab zu bedenken, dass Scharfschützen keine Helden, sondern Feiglinge seien, weil sie aus dem Hinterhalt agierten, während Sarah Palin konterte, die Kyle-Kritiker seien nicht einmal würdig, dessen Schuhe zu putzen.
Teilweise wirkt der Film so, als habe er bestimmte Reaktionen darauf bereits antizipiert und daraufhin die Konzeption leicht abgewandelt. Doch der Reihe nach: zu Beginn des Films liegt Kyle auf einem Dach und gibt einigen Kameraden Deckung, die unten auf der Straße Haus für Haus eine Stadt erobern. Plötzlich treten eine verschleierte Frau und ein Junge auf die Straße, bewegen sich auf die US-Soldaten zu und hantieren dabei derart ostentativ mit einer Granate, dass Kyle zum Eingreifen geradezu gezwungen ist.
Klar, Notwehr, um die unmittelbar bedrohten Kameraden zu schützen. Kyle ringt mit dem Finger am Auslöser, aber der Film springt jetzt erst einmal zurück in die Kindheit des Scharfschützen, als er mit dem Vater in Sachen Jagd initiiert wurde. „Merke, Sohn! Es gibt Wölfe, und es gibt Schafe. Und es gibt Hirtenhunde, die die Schafe vor den Wölfen schützen.“ Cooles Bild für einfach Gestrickte! Kyle wird trotzdem erst einmal Rodeoreiter, dann, als er im Fernsehen Bilder vom Al-Kaida-Terror sieht, zum Patrioten – und nach einer Ausbildung an den Waffen zum Hirtenhund in Uniform. Und dann liegt er wieder auf dem Dach und hadert mit seinem Gewissen. Was für Bestien sind das da im Irak, dass er Kinder und Frauen ausknipsen muss!
Der Film bezieht unmissverständlich Stellung, indem er diese Szene durch zwei Nebenhandlungen ergänzt. Zunächst einmal ist da ein zweiter, irakischer Sniper, der nicht etwa Aktionen der Gegen-Seite flankiert, sondern gleich als terroristisch Agierender eingeführt wird, der blutige »Erfolge« seines Wirkens gleich ins Internet stellt. Während Kyle sich nach einem gelungenen Abschuss nicht einmal gratulieren lässt! Und dann ist da ein Al-Kaida-Kader, den man nur „The Butcher“ nennt, weil er gerne und viel foltert und bei Kindern von Kollaborateuren gerne mal die Bohrmaschine zückt.
Mit solchen Gegnern, von Kyle gerne „Wilde“ genannt, hat man es im Irak zu tun. Da ist ein Gewissen Luxus und wenn Kyle von seinen 160 „Kills“ etwas bedauert, dann, dass es nicht wesentlich mehr gewesen sind. Recht schnell wird dem Film auch klar, dass die Beschreibung der Arbeit eines Scharfschützen nicht sehr filmisch ist. Zu Beginn wird Kyle in ein paar Szenen als Scharfschütze eingeführt, was schnell an ein fades Computerspiel erinnert.
Wunderbar, hätte der Film diesen Stumpfsinn ausgehalten! Hat er aber nicht. Deshalb muss Kyle später vom Dach runter auf die Straße und mit in die Häuser reingehen. Schnell mutiert der Scharfschütze zum Terroristenjäger, der sich auf einen vermittelten Zweikampf mit dem irakischen Sniper einlässt, wie er uns schon einmal aus Stalingrad erzählt worden ist. Als er diese Mission schließlich erfolgreich abgeschlossen hat, ruft er noch während des Gefechts zuhause an und sagt, dass er jetzt bereit ist, nach Hause zu kommen.
„Im Felde unbesiegt“ wird er dann das Opfer eines etwas zwielichtig aussehenden Veteranen, aber das zeigt „American Sniper“ nicht, sondern endet stattdessen mit dokumentarischen Bildern vom Begräbnis des Chris Kyle. Weil er zeige, was die Kriegserfahrung auch mit dem Zivilisten Chris Kyle anrichte, so Clint Eastwood, sei sein Film ein echter Antikriegsfilm. Weil er aber weder von Massenvernichtungswaffen, von den Folterungen Abu Ghraib oder von anderen Kriegsverbrechen spricht, weil er den Krieg zu keiner Sekunde in Frage stellt, sondern lieber vom Adrenalin schwärmt, dass das „being in action“ freisetzt, ist „American Sniper“ ein Film geworden, der das große Ganze nicht beschreiben kann, weil er nur den Tunnelblick ins Zielfernrohr verdoppelt. Das Heldengemälde sagt entschieden und echt stur „Ja“ zum Irak-Krieg – und ist als konventioneller Kriegs- und Propagandafilm handwerklich makellos, also mangelhaft.