Der Frieden scheint zum Greifen nah, doch die Überlebenden des Balkankriegs haben keinen Grund zur Freude: Zerstörung, Wassermangel und Verlust bestimmen Mitte der 1990er Jahre das Leben der meisten. Was sich (melo-)dramatisch anhört, wird in Fernando León de Aranoas englischsprachigem Filmdebüt „A Perfect Day“ durchaus ambivalent, an nicht wenigen Stellen gar humorvoll erzählt. Das gelingt, weil im Zentrum des Films nicht die vermeintlich und womöglich auf Mitleid abzielenden Opfer des Krieges stehen, sondern eine bunt gemischte Gruppe von NGO-Mitarbeitern: Abgebrüht, zynisch und idealistisch. Das oft beschworene Ende der Kriegshandlungen bildet nicht mehr als die Kulisse, den Hintergrund eines Problems, der die Gruppe während des Films habhaft zu werden versucht.
Etwas, das fehl am Platz ist, kann nur durch etwas anderes beseitigt werden, das wiederum gar nicht vorhanden ist. Zu viel, zu wenig. Genau in diesem Dilemma steckt die starbesetzte Hilfsorganisation (darunter die beiden Oscar-Preisträger Benicio del Toro und Tim Robbins sowie Olga Kurylenko), die bemüht ist, bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten zu gehen, um einen Wasserbrunnen zu dekontaminieren. Gleich zu Beginn etabliert der Film dieses ungleiche Verhältnis eines Zuviel und eines Zuwenig. Was sich später als eine an einem Seil befestigte und nach oben gezogene Leiche in einem Wasserbrunnen herausstellt, gibt in ihrer Drehbewegung immer wieder Lücken frei für die Credits, die Namen der Schauspieler. Dreht sich der tote und v.a. schwere Körper dabei zu schnell, bleibt kaum noch Zeit, den Namen zu lesen. Das Seil reißt, die Leiche fällt hinab, zurück auf den Boden des Brunnens. Sisyphos steht wieder am Anfang, und die Suche nach einem neuen Strick erweist sich als spielfilmfüllende Herausforderung. Weil es an dieser Stelle nicht weitergeht und um es vorwegzunehmen, dieses Problem auch dank der unpragmatischen Intervention der UN-Blauhelme nicht gelöst werden kann, verlässt die Kamera den Brunnen und heftet sich an die Fersen der Hilfsorganisation von Mambrú, B und Sophie. Zu viel würden sie mit ihren Köpfen im Krieg feststecken, zu wenig von dem wissen, was wirklich Leben ausmacht, sagt Katya, die wenig später die Gruppe komplettiert und als Vorgesetzte kontrolliert, ob sie, angeführt von ihrem Ex-Liebhaber, Aktionen denn auch erfolgreich umsetzen kann.
Sarkastisch mutet es da fast schon an, dass Einheimische die „Hilfe ohne Grenzen“-Truppe auf ihrer Seilsuche unterstützen, sie unbeschwert über verminte Gebiete führen. Da gibt es die Alte, die hinter ihren Kühen hergeht, um nicht von einer Mine zerfetzt zu werden, dann den Jungen Nikola, der die Gruppe durch sein Schicksal, das ihm selbst vorenthalten wird, enger zusammenschweißt und Momente von Dynamik zwischen den unterschiedlichen Charakteren aufblitzen lässt. Desolat und desillusioniert verlassen die Hilfsarbeiter das Elternhaus von Nikola, nachdem sie seinen Ball aus der Garage geholt haben. Aus dem Off dröhnt Marilyn Manson mit dem „Sweet Dreams“-Cover von den Eurythmics. Deplatziert und pathetisch fühlt es sich an und genau das trifft wohl die Stimmung der Szene und v.a. die gefühlte Ohnmacht der Protagonisten. Zu viel gewollt, zu wenig erreicht. Will Sophie, die junge, leicht überambitionierte Hilfsarbeiterin, die an diesem Tag zum ersten Mal und gleich mit mehreren menschlichen Leichen konfrontiert wird, vom Krieg missbraucht werden? Warum man sich einerseits das Leid antut, sich andererseits von einer überbürokratischen UN auf der Nase herumtanzen lässt, fragt der Film in Form von Katya. Eine Antwort darauf können die anderen nicht geben, zu tief stecken sie im Krieg fest, so tief wie die übergewichtige Leiche im Wasserbrunnen. Wer bin schon ich, um zu widersprechen? Jeder ist auf der Suche nach etwas.
Die Stärke des Films liegt in diesen aufgeworfenen und unbeantworteten Fragen, der melancholischen Verbindung von Ernüchterung und stetiger Frustration. Das eigene Angebot der Hilfeleistung, das man gezwungen ist, immer wieder zurückzunehmen. Was tun, wenn der Gemischtwarenhändler sich weigert, ein Seil für eine Brunnenentgiftung zu verkaufen, weil die Seile dafür vorgesehen sind, Menschen an ihnen aufzuhängen? Im Zweifelsfall sind die Hilfsarbeiter ungeschützt. Ein verborgener Sprengsatz nimmt keine Rücksicht auf ein durchgestrichenes Gewehr am Fahrzeug.
De Aranoas Film reiht sich bestens ein in die hochaktuelle Debatte über Flüchtlinge, ohne mit dem Zeigefinger zu drohen oder unnötig tief in Wunden zu bohren. Ein gutes Timing, ein dick aufgetragener Soundtrack, stark geschriebene und gespielte Charaktere zeigen (teils zu) eindrücklich das, was andere Filme schon nicht mehr interessiert: Den Krieg nach dem Krieg – den nie erreichten Friedenszustand. Zahlreiche Vogelperspektiven auf die durch entvölkertes Gebiet fahrenden Jeeps, unterstreichen die Unmöglichkeit, zwischen dem Hier und Dort jemals ans Ziel zu kommen.