Das antipsychologische Portrait einer Figur in den Fragmenten ihrer Geschichte: Maria (Angeliki Papoulia) gibt ihr Studium in Athen auf, um zwanzigjährig Yannis (Vassilis Doganis), den Kapitän eines Frachtschiffes, zu heiraten; sie haben zusammen drei Kinder, um die sich Maria kümmert, während ihr Mann auf See ist. Sehnsüchtig erwartet Maria seine Rückkehr. Dann stürzen sich die beiden hungrig in exzessiven, verschlingenden Sex, als gelte es, in der intensiven Umklammerung Freiheit oder ein Stück Heimat zu finden. Ihre selbstvergessene Beziehung trägt Züge einer Amour fou. Die Bilder der körperlichen Raserei und Ekstase sind in Marias Kopf, sie durchziehen als Erinnerungen den Film. Yannis schwört Maria ewige Liebe, die sie wiederum als Verschmelzung der Körper imaginiert, indem sie sich in einem Internetcafé, umringt von misstrauisch und verwundert dreinblickenden Männern, wüste Pornoseiten anschaut. Maria ist eine toughe, exaltierte junge Frau, eine aggressive Boxerin mit viel Kraft und Mut und körperlicher Energie; dabei immer laut und in Bewegung.
Was in der Nacherzählung chronologisch klingt, zerfällt in Syllas Tzoumerkas‘ fiebrigem Film „A Blast – Ausbruch“ in lauter Einzelteile, die zunächst unverbunden erscheinen. Gegenwart und Vergangenheit, Erinnerungen und Tagräume durchdringen sich fortwährend in einem teils rasanten Tempo. Sie vermischen und kommentieren sich, erzeugen Kontraste und Brüche, Anschlüsse, Ahnungen, vielleicht sogar Erkenntnisse. Das Zeit-Kontinuum ist aufgehoben und wird zugleich durch die Montage neu zusammengesetzt. Orte und Zeiten befinden sich in ständiger Fluktuation, woraus eine Gleichzeitigkeit resultiert. Auf Maria bezogen, führt das zu einer Überlagerung von außen und innen und in der Folge zu einer Art psychischem Überdruck. Dabei setzt Tzoumerkas‘ ebenso überhitztes wie analytisches Kino weder auf gefühlsmäßigen noch psychologischen Nachvollzug; vielmehr muss der Zuschauer die eher rudimentäre Handlung konstruieren, ergänzen und erfinden. Dabei passiert in „A Blast – Ausbruch“ nicht allzu viel, zumindest nicht sichtbar. Und wenn Maria ausrastet, bleiben wir immer auf Abstand, ist sie uns immer auch fremd.
Einen intimen, irritierenden Blick in ihre Seele, als Schlüsselszene gesetzt, gibt es dann doch: Von ungestillten, vielleicht sogar unbekannten Sehnsüchten, familiärer Fremdbestimmung und vor allem der finanziellen Schuldenlast ihrer Eltern zerrieben, sucht Maria eine Frauenselbsthilfegruppe auf. Sie sei „absolut unglücklich“ und führe „ein lächerliches Leben“, erklärt Maria der Runde. Deshalb wolle sie eine radikale Trennung von ihrer Familie vollziehen und dieser gegenüber fremde Menschen bevorzugen. Sie spüre lieber eine Schuld statt ihr bisheriges Leben weiterzuführen und tausche den unerträglich gewordenen Schmerz gegen die Vergeblichkeit. Was darauf folgt, ist der Titel gebende rabiate Ausbruch, eine Explosion aller verbliebenen Sicherheiten.
Geschickt verknüpft der griechische Regisseur Syllas Tzoumerkas in seinem (nach „Homeland“) zweiten Langfilm die Implosionen seiner Protagonistin mit den Erschütterungen seines krisengeschüttelten Heimatlandes. In Radio- und Fernsehnachrichten zeichnet er dieses als ein „sinkendes Schiff“, dessen langsames Untergehen mit dem persönlichen Schicksal der Heldin interagiert. Öffentliches und Privates, auf parallelen Ebenen miteinander in Beziehung gesetzt, vermischen sich unablässig; die epidemischen Insolvenzen der Gesellschaft, von Aufruhr und Intoleranz begleitet, dringen gewissermaßen in den individuellen Körper ein.
Im instruktiven, auf Englisch geführten Interview mit dem Regisseur, das der DVD beigegeben ist (das als „Booklet“ angekündigte Faltblatt gibt weniger her) sagt Tzoumerkas, seine Heldin befinde sich als Repräsentantin der jüngeren Generation „im freien Fall“. Die Krise einer kollabierenden Gesellschaft habe die persönlichen Beziehungen vergiftet. Deshalb suche Maria, die eingangs des Films die universalen Menschenrechte zitiert – unter anderem das Recht, sich frei zu bewegen und nach Glück zu streben -, eine radikale Veränderung und damit auch eine neue Identität. Gegen alle Desillusionierung verkörpere sie letztlich eine Hoffnung, ist Syllas Zoumerkas überzeugt. Denn, so seine These: „Freiheit ist stärker als die soziale Dynamik.“
Hier gibt es eine weitere Kritik zu ‚A Blast – Ausbruch‘.