Zwischen Gender Studies und Endlichkeitsfragen

von Wolfgang Nierlin


Ein Gespräch mit dem Regisseur Tom Tykwer über seinen neuen Film „Drei“.

Wolfgang Nierlin: Im Presseheft wird Ihr neuer Film „Drei“ als „romantische Komödie“ bezeichnet. Sind Sie damit einverstanden?
Tom Tykwer: Diese Genrebezeichnung wurde als Label benutzt, weil es eben gerade um den Bruch mit den Konventionen geht und man trotzdem neue Perspektiven auf den Begriff bekommen soll. Mein Film ist zweifellos romantisch und hat viele komödiantische Aspekte; er hat aber auch noch andere, kantigere Zonen, die mir ebenso wichtig sind. Der Film benutzt also bestimmte Genrekonventionen und versucht zugleich, sie situativ zu überwinden.

Seit langem werden im Kino Dreierbeziehungen erzählt. Was hat Sie gereizt, dieser Tradition eine neue Komponente hinzuzufügen?
In der Entwicklung des Stoffs war es tatsächlich eher ein Film über eine Zweierbeziehung. Dabei hat mich interessiert, wie in einer langjährigen Partnerschaft die Energie über Ersatzspannungen lebendig gehalten wird und wie das im gelungenen Fall aussieht. Mein Film stellt diesbezüglich ja eine gute Beziehung vor. Aber auch diese ist vor Versuchungen nicht gefeit, weil wir alle nicht auf die Welt gekommen sind, um unseren Frieden und unser Glück mit nur einer Person zu finden. Vielmehr richten wir uns aus einer sozialen Verpflichtung und einer vom Über-Ich geprägten Lebenseinstellung darauf ein. Daraus entstehen wiederum Spannungsfälle, die der Film untersucht. Die Dreierkonstellation kam dadurch zustande, dass ich von menschlichen Versuchungen sprechen wollte, wobei das Objekt der Begierde ein und derselbe Mann ist. Verständlich wird das dadurch, dass beide über eine lange, gemeinsame Zeit einander ähnlich, fast geschwisterlich geworden sind, was ihnen in ihrer Suffizienz ähnliche Defizite beschert. Dadurch wird es plausibel, dass sie ihre Sehnsüchte auf dasselbe Objekt projizieren. Und dann wurde es plötzlich ein Film, von dem ich dachte, den gab es noch nie.

Ihre Filme handeln oft vom Zufall, sind aber so gemacht, dass sie wenig dem Zufall überlassen. Warum ist das so?
Unser Arbeitsprinzip ist es, uns mit größtmöglicher Genauigkeit vorzubereiten und eine möglichst genaue Vision des Films zu entwickeln. Man kann dem Film aber auch ansehen, dass bei seiner Entstehung immer wieder auf Unvorhergesehenes eingegangen wurde; das bezieht sich vor allem auf die Schauspieler, die immer wieder Momente erwischt haben, die nicht abrufbar oder vorhersehbar waren. Innerhalb des Systems, sozusagen unter seinem „ästhetischen Dach“, herrschen also große Freiheiten. Jeder Film ist eine wahnsinnig organisierte Angelegenheit. Ich bin gut darin, ein größtmögliches Maß an vorbereitetem Konzept mitzubringen, um dann eine maximale Offenheit den Abwegen und Überraschungen gegenüber zu haben. Aus dieser Spannung entwickelt sich für mich das Interessante am Kino, also dass es eine von Technologie geprägte Kunstform ist und durch die Schauspieler zugleich etwas Unwägbares dazu kommt. Unser System ist auf jeden Fall offen genug, das immer zu erlauben.

Wie haben Sie die Figuren entwickelt?
Wir haben geprobt, um etwas über die Grundstimmung des Films zu erfahren. Dabei sollten die Situationen uns und den Zuschauer an eigene Erfahrungen erinnern. Es gab also das Bedürfnis, die „Hautnähe“ des Films nahe am Zuschauer entlang zu entwickeln, weshalb die Figuren nicht bigger than life erscheinen sollten.

Was ist die Funktion der vielen Zitate und Anspielungen auf Bücher und Kunst, die im Film auftauchen?
Das sind für mich keine Zitate, sondern Alltagserscheinungen von Kulturarbeitern. Wenn ich die Quelle der Inspiration jetzt offenlegen würde, wäre damit eine Banalisierung verbunden, weil jeder seine eigene Assoziationswelt zu „Moby Dick“ oder zu Shakespeare oder zu den ganzen kulturellen Klassifizierungen hat. Die Zuordnungen sind sehr heterogen, da sich die Figuren in kulturell facettenreichen Kontexten zwischen Hochkultur, Street-Art und Popmusik bewegen. Die vielen Akzente werden unterschiedlich gesetzt, um darauf hinzuweisen, dass das ein sehr breit gefächerter Horizont ist, den ich heutzutage für sehr normal halte, weil Kulturproduktion uns in unserem Alltag ganz selbstverständlich begleitet. Das zeigt sich nicht nur in unserer Gesprächskultur, sondern darüber hinaus findet durch diese Zuordnungen kultureller Erzeugnisse auch eine Selbstdefinition statt. Das kann man auch beispielsweise an Facebook ablesen, das nichts anderes als eine Repräsentation von Individualität ist, die durch einen Bezug auf kulturelle Erzeugnisse plastisch gemacht wird. Das fasziniert mich, weil das im Kino sonst keinen Niederschlag findet. Andererseits gibt es Subthemen, die den Film zusammenhalten und die sich zwischen Gender Studies und Endlichkeitsfragen bewegen, wovon fast jeder Seitensprung des Films durchsetzt ist, also von einem Bezugssystem, das auch für die Story des Films wichtig ist.

In Ihrem Film spielt die Stadt Berlin eine große Rolle. Repräsentiert sie mit ihren Schauplätzen den Aufbruch der Figuren?
Für mich ist Berlin kein freierer Ort als andere Orte. Die Menschen füllen die Möglichkeitsräume aus und nicht die Stadt. Die Stadt ist einfach das Porträt eines Heimatortes und insofern ist „Drei“ auch ein Heimatfilm. Für uns war es wichtig zu zeigen, dass die Figuren diesen Ort nicht distanziert wie eine Kulisse durchschreiten, sondern wir wollten den Film in einer subjektiven Vertrautheit mit einem auch beschützenden Ort erzählen. Die Stadt sollte kein abstrakter Background sein.

Erzählt Ihr Film eine utopische Liebesgeschichte und wenn ja, warum bedarf es dafür einer Dreierbeziehung?
Ich finde da ist keine Utopie im Spiel. Das Schlussbild ist diesbezüglich eher ein Epilog für einen Film, der den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten unserer Liebesfähigkeit zugewandt ist und der keine bessere Idee vom Zusammenleben propagiert, sondern Figuren in einer bestimmten kritischen Situation betrachtet und sie in bestimmten Momenten wagemutige Schritte tun lässt, die sich vielleicht nicht jeder traut. Fast alle Menschen suchen nach einer Perspektive, um den Widerspruch zwischen der Sehnsucht nach einem verbindlichen Zweisamkeitsmodell und den Trieben, die uns davon wegtreiben, zu leben. Damit spielt der Film, ohne dass er dafür eine Lösung hätte. In der dramatischen Zuspitzung erreicht er deshalb seinen Höhepunkt, sobald sich die drei Auge in Auge gegenüber stehen. Darauf läuft der Film hinaus. Alles was danach noch kommt ist ein Epilog, der von einem optimistischen Grundgestus getragen wird. Insofern wirft sich der Film als Komödie lustvoll in seine Probleme.

Die Realitätsebene des Films wird immer wieder von phantastischen Elementen durchbrochen. Wie fügen sich diese in den Kontext?
Das ist Ausdruck einer Subjektivität, mit der sich die Figuren aus dem Diesseits und der Konkretion herauslösen. Das geschieht oft gerade dann, wenn die Situationen spröde sind. Das Kino ist geradezu prädestiniert, dieses komische Doppelwesen, das der Mensch ist, einzufangen, also seine Bezugnahme auf das Jetzt und sein gleichzeitiges Wegdriften in manchmal unheimliche Zonen. In Träumen geht das oftmals über in den Alltag. Diese Irritationen sind für das Kino ein gefundenes Fressen, weil es die erzählerischen und technischen Möglichkeiten hat, diesem komischen Doppelzustand des Menschen nahe zu kommen.

Ihr Film beinhaltet zwei Modelle der Lebensbetrachtung: ein mehr lineares, vielleicht deterministisches und – in Anlehnung an Hermann Hesses Gedicht „Spuren“ – ein konzentrisches des Wachsens. Wozu neigen Sie?
Wir können nicht anders als hin und her zu pendeln zwischen beidem, also zwischen Endlichkeit und latenter Unendlichkeit, weil wir genetisch in einer Verbindung stehen, die länger ist als unser Leben und die sich fortsetzt und verästelt. Es gibt also eine Linie, die ungebrochen ist und eine, die herausgeschnitten wird aus dem Zeitfluss. Dem Bewusstsein näher ist zwar dieser Ausschnitt, andererseits gibt es eine Phantasiewelt, die die Endlichkeit zu transzendieren versucht, uns befreit und beglückt. Der Film handelt von beidem. Bei der Liebe geht es immer um Transzendenz, die dazu da ist, uns zu erlösen von dem Profanen und Banalen und dabei vor allem von einem limitierten Erfahrungs- und Zeithorizont. Die Liebe und der Sex schenken uns Momente, in denen das vergessen wird. Und deshalb ist die Liebe das wichtigste Thema des Lebens und das Thema der meisten Filme.

Das Interview führte u.a. Wolfgang Nierlin zusammen mit Kollegen im Rahmen eines Pressegesprächs im Heidelberger Studio Europa.

Link zu einer weiteren Filmkritik zu „Drei„.

Foto: © Warner Bros. / X-Verleih