Die Filmkomödie „Die Finanzen des Großherzogs“ von Friedrich Wilhelm Murnau (1923) verdient schon darum das Interesse der Filmhistoriker (und nicht nur dieser), weil man aus ihr lernen kann, dass Curd Jürgens, der „deutsche Kleiderschrank“ der fünfziger Jahre, einen kongenialen Vorläufer in Harry Liedtke hatte, dem Herzensbrecher der zehner und zwanziger Jahre – zumal dann, wenn es darum ging, vor Wut oder Entsetzen stiernackig zu erstarren und die Augen gefährlich aus ihren Höhlen treten zu lassen. Als Duodezfürst eines fiktiven mediterranen Zwergstaats hat er dazu allen Anlass, denn der ist erstens pleite, zweitens von Feinden umzingelt und drittens das Ziel einer äußerst finsteren Verschwörung. Am Ende sieht er, den Strick bereits um den Hals, sein Ende nahen, würde ihn nicht die plötzliche Verehelichung mit einer russischen Großfürstin aus allen Nöten befreien.
Drehbücher sind oft Glückssache. Dieses stammt von Thea von Harbou und trug möglicherweise dazu bei, dass sich die Filmhistoriker schwer taten, dem großen Murnau den Seitensprung ins komische Genre zu verzeihen. Wie kommt es, rügt seine Biografin Lotte H. Eisner, dass hier „alle seine Darsteller so mittelmäßig wirken?“ Dabei hat gerade sie uns die film- und kinogeschichtlich bemerkenswerte Tatsache überliefert, dass etliche Sequenzen dieses Films bei der Uraufführung im Berliner Ufa-Palast am Zoo „Applaus auf offener Szene“ hervorgerufen haben: so die „wirklich feenhafte Totale“ eines Schiffs, „alle Segel gesetzt, alle Mann hoch oben in der Takelage“ – und Aufnahmen eines Bahnhofs, in den „eine Lokomotive mit zwei vollen Scheinwerfern“ direkt auf die Kamera zufährt. Applaus auf offener Szene! Die Besucher der frühen Kinos müssen glückliche Menschen gewesen sein.
In der Tat: Sie hatten Gespür für eine neue Qualität. Zum zweiten Mal, nach den düsteren Naturaufnahmen für „Nosferatu“ (1921/22), schüttelt Murnau den Kulissenstaub der Studioproduktionen von Neubabelsberg ab und lässt die Kamera (Karl Freund) in die Außenwelt schweifen, in die Ferne, aufs Meer und an die sonneglänzenden Gestade der Adria. Und siehe: er gewinnt dem Licht, den Hafenansichten, der Patina alter Paläste Bilder von schwindelerregender Schönheit ab. Große Teile des Films werden in Ragusa (dem heutigen Dubrovnik), in Montenegro und auf der Insel Rab gedreht. Ein Stück Wahrnehmungsgeschichte: Schauplätze, die uns Heutigen längst zu Floskeln des Farbfernsehens geworden sind und von Lotte Eisner, die eine „recht verstümmelte Kopie“ des Dubbnegativs gesehen hat, als „grauer Zufallshintergrund“ getadelt wurden, hatten Murnaus Kamera den ganzen Zauber der Schwarzweiß-Fotografie entlockt – einen Zauber, der sich uns heute, in der aufwendig restaurierten und digitalisierten Fassung der Cineteca del Comune di Bologna und des Münchner Filmmuseums, aufs neue erschließt.
Von einer schmalen Mauer, die aus dem Vordergrund vertikal in die Bildmitte strebt, taumelt der Blick gleichzeitig in die Tiefe und in eine helle, schier unbegrenzte Weite, erfasst die klare Linie von Zypressen, das Ufer, die spiegelglatte Fläche des Meers bis zum Horizont, schließlich die feinziselierte Takelage eines Segelschiffs. Diesem und ähnlichen, behutsam viragierten „Naturbildern“ – so darf man es sich wohl vorstellen – galt der Applaus des zeitgenössischen Publikums.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: ray Filmmagazin
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