Magische Momente 15

Hammett
von Klaus Kreimeier

Schon die Exposition führt alles zusammen: das fade Licht, das durch die Jalousielamellen bricht und das Chaos der Dinge in eine verstaubte Aura hüllt. Die Schreibmaschine, mit deren Tastatur die Kamera, über die Schulter des Schreibenden blickend, ihre Inspektionsreise beginnt. Die Fingerkuppen, die die Tasten bearbeiten, und die Typenhebel, welche die Lettern THE END aufs Papier hacken. Der überfüllte Aschenbecher, die Whiskyflasche, das Schnapsglas und die zerknüllten literarischen Hoffnungen im Papierkorb. Es sind die heiligen Insignien des Film noir, genauer: der von Dashiell Hammett und Raymond Chandler kreierten „hardboiled novel“ und der unsterblichen Mythen, die John Huston, Humphrey Bogart und ein paar andere aus diesem Genre für das Kino gemixt haben.

Zum Text, der eine erbärmliche Welt beschreibt, gehört der Alkohol, ohne den sie nicht zu ertragen wäre: Das verbindet die Rolle des Detektivs, der das Verbrechen bekämpft, mit der des Autors, der die Niederlagen und die seltenen Siege in diesem Kampf in Literatur übersetzt. In Wim Wenders‘ „Hammett“, seinem ersten Hollywood-Film, fallen die Rollen zusammen: Der Autor (Frederic Forrest) beendet gerade seine Geschichte, aber es zeigt sich, dass er als unfreiwilliger Privatdetektiv einen realen Kriminalfall lösen muss, um der Story auf seinem Schreibtisch einen stimmigen Schluss zu verleihen. So taucht das Wort „The End“ zweimal auf: am Anfang, wenn Hammett sein Manuskript abschließt – und am Ende, wenn der reale Fall geklärt, die Welt noch immer unerlöst, die Story vollendet und so auch der Film zu seinem Schluss gekommen ist. Den Transfer zwischen Leben und Kunst, Realität und Phantasie garantiert die Schreibmaschine – gleichzeitig Strukturelement des Films und magische Technologie einer Obsession.

Die Produktionsgeschichte, 1979 bis 1982, gestaltete sich für Wenders zur Leidensgeschichte, für die Branche und viele Kritiker zum Skandal. Am Ende waren fast vier Jahre vergangen und ebenso viele Drehbuchautoren verbraucht. Produzent Francis Ford Coppola tobte, ließ Wenders eine Hörspielfassung schreiben, beauftragte Alex Tavoularis (den Bruder von Dean) mit einem Storyboard, fütterte Zeichnungen und gesprochene Dialoge in einen Computer – und warf, was dabei herauskam, vor Wut aus dem Fenster. Irgendwie wurde der Film, teilweise mit neuem Stab, zu Ende gedreht. Die meisten deutschen Kritiker nörgelten. Urs Jenny nannte das Werk eine „elegante Ruine der Illusionen“ (er meinte die des deutschen Filmemachers in Hollywood), Godard pries es als Wenders‘ schönsten Film.

„Hammett“ sei kalt, meinten einige. Aber wie soll von diesem mit Röntgenaugen im Studio rekonstruierten Chinatown, diesem sinistren Milieu mit seinen Halunken und Halsabschneidern ein Wärmestrom ausgehen? Was bleibt, ist die Aura der Dinge in einer tief verschatteten Welt, durch die sich der ehrliche Schnüffler ebenso wie sein Zwillingsbruder, der Autor, hindurchwühlen muss. Der Typewriter, der nur vom Lichtkreis der Lampe erhellte Schreibtisch, das zerknüllte Papier, das Whiskyglas, der übervolle Aschenbecher: Tavoularis hat in seinen Zeichnungen (sie waren vor Jahren in einer Ausstellung der Deutschen Kinemathek zu sehen) diesem Inventar eine nachgerade perfide Akribie gewidmet – und Wenders hat solche Präzision in Atmosphäre, filmisches Flair, in Lichtstreifen und scharfkantige Dunkelheit übersetzt.

Dieser Text ist zuerst erschienen in: ray Filmmagazin

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Foto: © Studiocanal