Zugespitzt formuliert, stellt Gerhard Richter seit den 1960er Jahren der Postulierung vom Ausstieg aus dem Bild eine Idee des Bildes entgegen. Konsequent befragt er Genres, Techniken und Traditionen nach ihren Möglichkeiten im Angesicht ihrer vermeintlichen Abgeschlossenheit. Wenn schon alles gemalt wurde, was kann dann noch gemalt werden? Welchen Sinn macht es, sich im Hier und Jetzt mit Seestücken oder Vanitasmotiven zu beschäftigen? Das ist die eigentliche Leistung dieses erstaunlichen Künstlers: Gerhard Richter malt. Und er setzt sich dabei stets mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit und den Erkenntnismöglichkeiten von Kunst auseinander. Für Richter ist die Welt unbegreifbar. Dies drückt er auf unnachahmliche Weise in seinen Bildern aus, wenn er aus fotografischen Vorlagen unscharfe Gemälde reproduziert oder einen Tisch – trotz Vermalung bis zur Unkenntlichkeit – ins Bild hinein behauptet. Am eindringlichsten wird das Thema der vermeintlichen Gewissheit des Sehens und damit des Bildes von Realität vielleicht in seinen Spiegelarbeiten behandelt, weil der Betrachter hier am direktesten in das Kunstwerk einbezogen wird. Er sieht sich in den Spiegeln und Glasscheiben seitenverkehrt, manchmal unscharf oder halbdurchsichtig und überlagert vom Raum dahinter oder davor und wird so in die Hinterfragung der Wahrnehmung mit eingebunden. Auch in den abstrakten Bildern, die seit Mitte der 1970er Jahre entstehen, wird der Betrachter mit seinem eigenen Blick und dem Drang etwas erkennen und durchdringen zu wollen konfrontiert. In den Überlagerungen und Verwischungen, die durch den speziellen Farbauftrag des Rakelns entstehen, meint er immer wieder objekthafte Strukturen ausmachen zu können, obwohl diese nicht vorhanden sind und er eigentlich auch darum weiß. In Richters Kunst liegt etwas Ungewisses, das sich aus der Unmöglichkeit einer vollkommenen Durchdringung der Wirklichkeit ergibt. Und erst, wenn man den Versuch aufgibt, in seinen Bildern etwas sehen zu wollen, wird es möglich zu fühlen und das Hoffnungsvolle in seiner Kunst zu entdecken.
In einigen hervorragenden Szenen ihres Dokumentarfilmes „Gerhard Richter Painting“ schöpft die Regisseurin Corinna Belz genau aus diesem Themenkomplex. Gleich zu Beginn des Filmes, in dem sie den mittlerweile über 80jährigen bescheidenen Star der Kunstwelt bei der Arbeit an einer Serie abstrakter Gemälde begleitet, lässt sie Richter eine Filmkamera aufbauen. Später sehen wir dem Maler dabei zu, wie er die Anwesenheit dieser Kamera während der Arbeit immer mitdenkt, unsicher wird und sich fragt, welche Konsequenzen seine gegenüber der Kamera geänderten Verhaltensweisen für die entstehenden Bilder wohl haben mögen. Permanent befragt Richter seine Kunst unter dem eigenen Blick, dem Blick anderer und dem Blick konkurrierender Bilder. So wird ein grüner Zaun am Straßenrand für den Künstler zu einem interessanten Objekt, obwohl dieser für die Zuschauerin ganz gewöhnlich scheint. Eine Grafik Picassos vergrößert Richter nur deshalb, um diese seitenverkehrt aufzuhängen und zu schauen was dann mit ihr und ihm selbst passiert und was dieses kleine Bild uns heute noch zu sagen vermag.
Leider bleiben diese Momente glückliche Sonderfälle in einem ansonsten unglücklich geratenen Film, denn es gelingt der Regisseurin nicht, diesem richtigen Ansatz eine formale Idee an die Seite zu stellen. Sie flüchtet sich stattdessen aus dem Atelier in das Umfeld des Malers und, was schlimmer wiegt, in Erklärungen. Diese geben zwar Einblick in die Akribie des Malers, dem selbst die Hängung seiner Bilder scheinbar alles abverlangt, und unterstreichen zugleich seine Scheu vor der Kamera und der Öffentlichkeit, doch den Blick auf sein Werk schärfen selbst die Archivmaterialien kaum. Auch die Anspielungen auf die Familiengeschichte Richters, als dieser einige Familienfotos durchsieht, bleiben unbeholfene Versuche, sich der Person abseits der Bilder zu nähern und sind ebenso unnötig und bemüht wie die Einbindung des Kunsthistorikers Benjamin Buchloh, der in einem arg gestellten Interview mit Gerhard Richter eifrig von dessen Malerei und dem Dahinter zu erzählen versucht. Dazwischen müssen die Assistenten Richters wiederholt ihre Tätigkeiten beschreiben. Viel lieber will man Richter malen sehen.
Dem ergrauten Star des Kunstbetriebes begegnet „Gerhard Richter Painting“ mit einigen Sehstörungen. Denn es ist der journalistische Blick der Regisseurin, der die Möglichkeit, dem Zuschauer die Malerei Richters nahe zu bringen, von vornherein verbaut, weil er die Kunst auf die Person reduziert. Es fehlt ein künstlerischer Blick, der den Protagonisten nicht nur versteht, sondern mithilfe dieses Verständnisses einen eigenen künstlerischen Standpunkt formulieren und eine Annäherung an das Unerklärbare wagen könnte. Stattdessen werden der Akt des Malens und die im Gesicht Richters ablesbare und seit jeher präsente Frage, was zu malen sei und wie es zu malen sei, durch den Erzählzwang gestört. Richters Gefühl des Ausgeliefertseins, das er einmal im Film anspricht, resultiert womöglich aus der Tatsache, dass die Regisseurin ihm allen Grund dazu gibt. Ironie des Schicksals ist es da, dass die Kamera, die Richter zu Beginn überlassen wurde – damit er den Prozess seiner Arbeit konsequent weiter filmen konnte, auch wenn das Filmteam nicht anwesend war – nur unscharfe Bilder produzierte. Das Sehen ist und bleibt ein unzuverlässiger Akt der Erkenntnis, das muss sich auch „Gerhard Richter Painting“ letztendlich eingestehen.
Hier gibt es eine weitere Kritik zu ‚Gerhard Richter Painting‘.