Der Titel gibt schon mal ziemlich viel her: ‚Get Out‘ ist so prägnant wie mehrdeutig. Welches Innen und Außen ist da gemeint? Wem gilt die Aufforderung ‚Raus hier!‘ – beim ersten Besuch eines jungen Fotografen (Daniel Kaluuya) im Landhaus der Eltern seiner Freundin (Allison Williams)? Er ist schwarz, die Eltern (Catherine Keener, Bradley Whitford) sind weiß und unerwartet scheißfreundlich (fast schon zu sehr), ihre Hausbediensteten schwarz und von altvaterisch gezierter Höflichkeit. Alles sehr seltsam.
Dies ist ein satirischer Horrorfilm, und zwar ein superer. Also widmet er sich, wie es sein soll, der Ergründung von Lebensweisen – und das heißt, über die Habitus-Analyse hinaus, der überraschenden Offenbarung einer regelrechten Seinsstruktur: eines Verhältnisses, das die Chiffre ‚Black Lives Matter‘ hier ebenfalls mehrdeutig benennt. Selbsterkenntnis als gefährdet für die einen, Erkennen anderer in ihrer Rolle als Abschöpfer von Alltagslebensenergie (also etwa die Beziehung initiationsbereiter weißer Jugendlicher zum Arbeitsmarkt im schwarzen Monteursoverall eines Michael Myers oder zu jener umfassenden Mediatisierung des Lebens, für welche die Hexe von Blair als Name des Unaussprechlichen steht, das Gesellschaft ist) – das heißt in ‚Get Out‘: Schwarze Leben sind, zumal in ihrer sozial ‚ausgesetzten‘ Materialität, höchst kostbar: Das erfährt nicht nur der junge Besucher mehr und mehr am eigenen Leib. Es gilt auch für seine Gastgeber, die keineswegs Rassisten sind, sondern beflissene liberals: Blackness ist ihnen etwas ausgesprochen Begehrenswertes – und das nicht nur in dem Sinn, dass sie, wenn sie gekonnt hätten, für eine dritte Amtszeit Obamas gestimmt hätten, wie der joviale Dad sagt. Alles Begehren, alle Projektion geht hier tiefer, näher, und das in einer Weise, die so klar, straightforward und sinnvoll mit den Details einer vertrackten sozialen Situation umgeht, dass schon allein das staunen macht.
‚Get Out‘ ist das Regiedebüt eines schwarzen Komikers: Jordan Peele brillierte 2016 in der Gangster-Thug-Life-Projektionen-Satire ‚Keanu‘. Dass der Mann nicht aus den von weißen Nerds und Handwerkern dominierten Produktions- und Diskursmühlen des Horrorfilms kommt, ist mit ein Grund, warum in ‚Get Out‘ vom Motiv-Repertoire dieses Genres ein Gebrauch gemacht wird, der sich weit jenseits von Auskennermechanik und Retrogesten ansiedelt. ‚Rosemarys Baby‘ und ‚Die Frauen von Stepford‘ (eher der alte aus den Seventies) liegen als Vergleichstitel nahe: Ihr perfider Humor, ihr konspirativer Weltentwurf und Sinn für die Gewalt von Bildungsmilieus rahmt ein ‚Rat mal, wer zum Essen kommt‘-Szenario. Auch Carl Theodor Dreyers Paranoiaklassiker ‚Vampyr‘ klingt hier zu dissonanten Harfenklängen und ‚Omen’ösen Chören an, sowie nicht zuletzt Eli Roths ‚Hostel‘-Filme (zumal Teil 2), moderne Klassiker in Sachen Ergründung einer Geheimökonomie radikalisierter Ausbeutung zwecks Reproduktion weißen Wohlgefühls. Folter? Nein. (War auch in ‚Hostel‘ nicht das Um und Auf.) Aber Zerren an den Nerven, erst zart, dann immer fester. Und Wellness-Satire, die irgendwann in den Lifestyle-Reproduktions-Ort im Hobbykeller mündet. Außerdem: Klassen sind Sekten, das heißt, sie sind geschlossene Ensembles, und – es gibt sie doch.
Statt zu spoilern sei es so gemach wie’s die Regie hier tut: Hintergründiges andeuten, Verhängnisvolles in den Raum stellen – und abrupt umschneiden. Das praktiziert ‚Get Out‘ mit einer nachgerade choreografischen Eleganz, in klaren Bildern und pointierten Rhythmen, die in die Griffigkeit von Mad Scientist-Horror und Typenkomik rund um eine so beleibte wie beherzte Helferfigur münden. Der Low Budget-Film war in den USA ein viel diskutierter Riesenerfolg; ein solcher ist ihm auch in diesen Breitengraden zu wünschen. Übrigens kommt ‚Get Out‘ beim zweiten Mal anschauen noch besser als beim ersten Mal, also am besten gleich zwei Kinokarten kaufen.