Karg, steinig und unwegsam erstreckt sich bis zum Horizont eine Wüstenlandschaft vor dem Auge des Betrachters. Die unwirtliche, wilde Ödnis, von einer unbarmherzigen Sonne beschienen, ist ein ambivalenter Ort: Einerseits umschließt sie einen ganz diesseitigen Raum der Entbehrung, ist fremd und ohne Zukunft; der Mensch erfährt sich in ihr als ausgesetzt und ganz auf sich allein gestellt. Andererseits kann die Wüste, befreit von allem Materiellen, in ihrer Stille und Verlassenheit zu einem Ort der Sammlung und der inneren Einkehr werden, der die Gegensätze zuspitzt und zugleich aufhebt. Die heißen Tage und die kalten Nächte, das unfruchtbare Land und die Schätze aus Stein, Gut und Böse sind in ihr vereint.
Auf der Suche nach Erkenntnis in der Begegnung mit sich selbst hat sich Jeshua (Ewan McGregor) in die Wüste begeben. Die Grenzenlosigkeit des unbebauten Raums als Bedingung der Askese soll körperliche Entbehrung und geistige Übung ins Gleichgewicht setzen. Betend und fastend sucht der „heilige Mann“ das Zwiegespräch mit sich selbst und mit Gott. Auf dem Weg nach Jerusalem will sich Jeshua auf „seine Aufgabe“ vorbereiten und ringt dabei um Antworten. Doch sein himmlischer Vater schweigt. Stattdessen meldet sich sein Versucher zu Wort, der ebenfalls von Ewan McGregor gespielt wird und der deshalb als kaum unterscheidbarer Doppelgänger erscheint. Nur Jeshua kann seinen Widersacher sehen und hören, der als Verneiner und Nihilist Zweifel sät und unbequeme Ansichten formuliert: Der schweigende Vater liebe nur sich selbst; und das Leben bestehe aus einer endlosen Reihe von Wiederholungen, die zu keinem Ziel führten. Der listige, durchaus kommunikative Verführer agiert mit den Mitteln der Täuschung; zugleich könnte er eine Abspaltung von Jeshuas Ich sein, gewissermaßen dessen Unterbewusstes.
Rodrigo García bezieht sich mit seinem vielschichtigen Film „Last Days in the Desert“ in sehr freier, parabolischer Form und mit einem reduzierten Setting auf jene Episode im Leben Jesu, die der deutsche Verleihtitel „40 Tage in der Wüste“ wachruft. Gemeint ist der Zeitraum zwischen Jesu Taufe im Jordan und seinem Auftreten in Galiläa, als Jesus vom Teufel dreifach versucht wird und dabei in der Treue zu Gott standhaft bleibt. García wählt diesen biblischen Hintergrund und die mit ihm verknüpften Anfechtungen seines Protagonisten, um in dessen Begegnung mit einer Familie „die menschliche Dimension von Jesus zu untersuchen“ und die „Auseinandersetzung mit allgemein menschlichen Glaubens- und Daseinskonflikten“ zu gestalten. Dabei interessiert sich der Sohn des Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez vor allem für den Vater-Sohn-Konflikt seiner Geschichte, den er in der Konstellation der portraitierten Familie widerspiegelt.
„Ich bin kein schlechter Sohn“, resümiert einmal der heranwachsende junge Mann (Tye Sheridan) mit Nachdruck gegenüber Jeshua seine konfliktreiche Beziehung zum Vater (Ciarán Hinds). Während dieser seinen Sohn in der Einöde halten will und deshalb ein Haus für ihn baut, träumt jener von Jerusalem, vom Meer und vom Aufbruch in ein Leben, in dem er Spuren hinterlassen möchte. Der schweigsame Jeshua hört verständig zu, fungiert als Vermittler und Spiegelbild und hat nicht immer eine Antwort. Vor allem gegenüber der todkranken, noch jungen Mutter der Familie (Ayelet Zurer) empfindet er sich als hilflos und schwach. Und er, der von sich einmal Taten statt Worte fordert, kann schließlich auch nicht verhindern, dass der Vater beim Versuch, an einer schwer zugänglichen Felswand einen wertvollen Jaspis abzutragen, tödlich verunglückt.
Der Tod des „irdischen Vaters“ sowie der Kreuzestod des „himmlischen Sohns“ am Ende des Films, beide als Opfer deutbar, verweisen in Rodrigo Garcías meditativem, von großer Konzentration getragenem Film auf Möglichkeiten der Befreiung und Erlösung. Er habe die „Sehnsucht individueller Selbstverwirklichung“ und den Glauben an eine „höhere Berufung“ aufeinandertreffen lassen wollen, sagt der kolumbianische, in den USA arbeitende Regisseur. Die faszinierenden, von dem renommierten Kameramann Emmanuel Lubezki gestalteten Bilder einer ebenso realistischen wie symbolischen Wüstenlandschaft, aufgenommen im südkalifornischen Anza-Borrego Desert State Park, antworten gewissermaßen auf die Zeitlosigkeit dieser Themen. Fast scheint es, als sei zwar nicht der innerweltliche, aber der metaphysische Sinn des Opfers vergessen. Für die Touristen jedenfalls, die durch ihr Auftreten am Schluss einen Bezug zur Gegenwart herstellen, ist die (geschichtsträchtige) Landschaft nurmehr ein Fotomotiv.