Es ist ein Tag wie jeder andere, als die 30-jährige Französin Sasha (Stéphanie Déhel) ihren Freund Lawrence und die gemeinsame Berliner Wohnung verlässt, um zu ihrer Arbeit ins Kunstquartier Bethanien zu gehen. Die sommerliche Stadt zeigt sich hell und grün und freundlich, die Morgenluft ist frisch und unverbraucht, ein leichter Wind bewegt die Welt. Noch ist der Alltag unbeschwert und unschuldig, der Blick frei und offen. Umso beunruhigender wirkt der Kontrast, wenn Sasha, die tagsüber mit einer gewissen Routine an einem Siebdruck gearbeitet hat, auf ihrem Heimweg durch einen öffentlichen Park plötzlich zusammenbricht und kurz darauf stirbt. Dieser Schicksalsschlag grundiert als Schock über einen abrupten Verlust in sanften Schüben und Wellen einer permanenten Trauer Mikhaël Hers‘ Film „Dieses Sommergefühl“. Doch nicht die vielleicht sinnlose Willkür des Lebens ist sein Thema, sondern das sich fortsetzende Gefühl der Leere, das diesen schrecklichen Verlust begleitet.
Der ungewöhnliche Zusammenklang des Schweren mit dem Leichten hält Mikhaël Hers mit seinem sehr feinfühligen Film in einer schwebenden Balance. Seine episodische, nahezu undramatische Struktur, die über einen Zeitraum von zwei Jahren Figuren und Städte verbindet, ordnet die Handlung nicht unter einen zentralen Blick, sondern eher unter ein abwesendes Zentrum. Das erzeugt Fliehkräfte und Flächigkeit, macht Details und Nuancen bedeutsam, vor allem aber gewinnt das Unbestimmte und Unscharfe einen Raum. Dieser ist erfüllt von Atmosphäre und Stimmungen, von Melancholie und Zärtlichkeit. „Dieses Sommergefühl“ ist ein Film, in dem man sich wohlfühlt, weil sein freier Blick und seine offene Dramaturgie eine gespannte Neugier erzeugen. Der Naturalismus der Bilder und die Natürlichkeit der Darstellung fügen sich in dieses Konzept kongenial ein.
„Ich wollte der Zeit bei der Arbeit zuschauen“, sagt Mikhaël Hers über seinen elliptisch gebauten Film, der sich der Flüchtigkeit entgegenstellt, indem er die konkrete Realität durch ihre sinnliche Präsenz intensiviert. Um von ungreifbaren Gefühlen, einem langen Schmerz und dem Trost der Zeit zu erzählen, verteilt er seine dezentrale Strategie auf zwei Figuren und Perspektiven sowie auf die wechselnden Schauplätze Berlin, Paris, New York und den See von Annecy, wo die Eltern der Verstorbenen leben. Verbunden durch die jeweilige Jahreszeit des Sommers, beobachten und begleiten wir zum einen Sashas amerikanischen Freund Lawrence (Andersen Danielsen Lie), einen sensiblen, nachdenklichen jungen Mann, der als mäßig erfolgreicher Schriftsteller und Übersetzer arbeitet und dessen schmerzliche Einsamkeit zudem von seiner Familiengeschichte genährt wird. Zum anderen lernen wir Sashas Schwester Zoé (Judith Chemla) kennen, die einen kleinen Sohn hat und gerade dabei ist, sich von ihrem Mann zu trennen.
Gleich in mehrfacher Hinsicht sind diese Figuren unterwegs in einem (noch) instabilen Leben unter prekären Verhältnissen. Allein in ihrer Trauer, sind sie trotzdem durch ihren Schmerz vereint. Die räumlichen Distanzen legen sich dabei wie ein unsichtbares Band um den gemeinsamen Verlust, der in Hers‘ Film weniger durch Worte bearbeitet wird. Vielmehr scheint das Unausgesprochene der geteilten Trauer in den unmerklichen Verschiebungen der vergehenden Zeit wirksam. Diese heilt Wunden, ohne darüber Auskunft zu geben. Ihr gleichmäßiges Fließen legt sich auf die Orte und Dinge, sie durchdringt die Szenerien, denen die Suche nach Schutz und Anteilnahme eher implizit ist. Im öffentlichen Raum zwischen Hier und Dort, auf Partys zwischen Ich und (potentiell entgrenzendem) Du oder auch auf Dachterrassen an der Grenz zur Dämmerung weitet sich der Blick und ermöglicht der Morgen ein Weitergehen.
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