„Eira“ heißt das Schiff, das in den nächtlichen Hafen von Helsinki einfährt, was, als Anagramm gelesen, ein bisschen an den Filmtitel „Ariel“ erinnert. Aki Kaurismäkis Verlierergeschichte aus dem Jahre 1988 endet dort, wo sein neuer Film „Die andere Seite der Hoffnung“ anfängt. Geographisch betrachtet, handelt es sich um gegensätzliche Bewegungen. Doch tatsächlich sind jener Aufbruch und diese Ankunft im Motiv der Flucht miteinander verbunden. In beiden Fällen und aus sehr unterschiedlichen Gründen können es die Protagonisten an ihren angestammten, lebensfeindlich gewordenen Orten nicht mehr aushalten. Nur tragen die individuellen Gründe – bei aller Ähnlichkeit der kaurismäkischen Helden – dreißig Jahre später deutliche Zeichen der Globalisierung; und zwar überaus aktuell und dezidiert politisch.
Wenn sich zu Beginn des Films eine dunkle, von Kohlestaub bedeckte Gestalt aus einem riesigen Berg Koks erhebt, entsteigt Phönix der Asche. Doch bei aller Würde, die dieses emblematische Bild vermittelt, ist Kahled Ali (Sherwan Haji) ein schwarzer Engel mit gebrochenen Flügeln. Nur mit Not dem Grauen des syrischen Bürgerkriegs entronnen, wo er außer seiner Schwester Miriam die ganz Familie verloren hat, ist er nach abenteuerlicher Flucht über die Balkanroute eher unfreiwillig und als blinder Passagier in einem Land angekommen, das ihn nicht haben will und sein Asylgesuch ablehnt. „Dieses Land ist unwirtlich und steinig“, heißt es in einem der Songs, die die Handlung kommentieren.
Dabei hat der ernst und unerschrocken wirkende junge Mann seine Ansprüche auf ein menschenwürdiges Dasein längst auf ein Minimum beschränkt. Kahled ist zu allem bereit: „Sterben ist leicht, aber ich will leben“, formuliert er mit existentieller Radikalität. Ironisch und mit Lust an der paradoxen Zuspitzung respektive Übertreibung engagiert sich Aki Kaurismäki einmal mehr für die Entrechteten und die bürokratischer Willkür ausgesetzten Außenseiter der Gesellschaft. Wenn nach Nachrichtenbildern vom zerstörten Aleppo die Abschiebung Kahleds erfolgen soll, besitzt das Plakative nicht nur eine dringliche Deutlichkeit, sondern auch einen bitteren, dem Widersinn geschuldeten Humor. Kaurismäki spricht einfache Wahrheiten aus, indem er ihren humanen Kern offen und unverstellt, bewusst naiv und direkt freilegt.
Der finnische Melancholiker, der seine stoischen Helden in stets „altmodischen“, in einem speziellen Sinne „zeitlosen“ Interieurs inszeniert, erzählt insofern immer auch moderne Märchen. In entsprechend stilisierten Bildern und mit bewährt lakonischem Erzählduktus beschwört er eine anachronistische, gewissermaßen rückwärtsgewandte Gegenwelt, in der die Solidarität und Verbundenheit der nicht nur sozial Benachteiligten einen vornehmen Platz einnimmt. Die parallel erzählte Geschichte des Handelsvertreters Waldemar Wikström (Sakani Kuosmanen), der wortlos seine Frau verlässt beziehungsweise seiner Ehe entflieht und sein Hemdenlager gegen ein heruntergewirtschaftetes Lokal mit Namen „Zum goldenen Krug“ tauscht, fungiert dabei zum einen als Spiegelgeschichte unter veränderten Vorzeichen; zum anderen finden die nach biographischen Brüchen obdach- und heimatlos gewordenen Helden im „Goldenen Krug“ einen geschützten Hort der Gemeinschaft und der gegenseitigen Unterstützung. Doch trotz aller Hoffnung und utopischer Sehnsucht wird daraus kein Paradies. Dafür sind die Feinde der Menschlichkeit zu real und hässlich.