Eigentlich wollte sich der auf einer einsamen Insel gestrandete Hank (Paul Dano) gerade selbst entsorgen. Doch Sekunden vor dem Absprung von der Plastikkühlbox, einen improvisierten Strick um den Hals, entdeckt er im Sand eine Leiche (Daniel Radcliffe), deren durch fortschreitende Verwesung freigesetzte Gase eine beträchtliche Antriebsenergie besitzen. Kurzerhand funktioniert Hank den nicht ganz so leblosen Körper zum Jetski um und tritt freudig die langersehnte Heimreise an. Auf dem Festland angekommen, will Hank sich des Verwesenden entledigen, aber wer reist schon gern allein. Also schultert er den kalten Kameraden und macht sich mit ihm auf den Weg. Im Verlauf eines immer irrer werdenden Trips erwacht die Leiche, die Hank schließlich Manny tauft, dann nicht nur zu neuem (oder altem) Leben, sondern erweist sich – einem Schweizer Taschenmesser gleich – mit all seinen Körperöffnungen als äußerst nützlicher, methangasbetriebener Allzweckzombie.
Egal wie man es anstellt, eine Zusammenfassung der Ereignisse in „Swiss Army Man“ klingt einfach scheiße. Das bringt einen natürlich schon deshalb in Schwierigkeiten, weil das Rekapitulieren der Geschichte die Frage aufwirft, ob der Film letztlich nicht doch einfach nur für den Arsch ist. Dieser zwischen zwei Furzwitzen gepressten Komödie gewinnt man anfänglich in etwa so viel ab, wie eine meiner Töchter recyceltem Toilettenpapier. Sie ging davon aus, dass dieses aus dem benutzten Klopapier anderer Leute bestehe und stand mir plötzlich mit angewidertem Blick gegenüber. Die Irritationen, die angesichts solch zentraler Entsorgungs- und Recyclingfragen ausgelöst werden, haben einiges mit jenen eines „Swiss Army Man“ gemein und bilden einen soliden Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit einem auf den ersten Blick spätpubertären Werk.
Irritierend ist allein schon, dass „Swiss Army Man“ da anfängt, wo die traditionelle Robinsonade endet. Die gelingende Flucht von der Insel setzt die Erzählung erst in Gang. Die Regression des zivilisierten Menschen und die damit häufig verbundene Auflösung der Ich-Strukturen erzählt „Swiss Army Man“ auffälligerweise nicht. Der einsame Kampf ums Überleben wird vom Drehbuch ohne große Umstände entsorgt. Es genügt Paul Danos ausgezehrter Blick und der Strick um den Hals. Die Regisseure sind sich offensichtlich über das Vorwissen ihres Publikums im Klaren. In der Folge stellen sie die Wiederkehr des Körpers und die Bewusstwerdung der eigenen Identität ins Zentrum der Erzählung. So wie sich Manny im Verlauf des Filmes zum immer lebendigeren und erstaunlich sympathischen Zombie entwickelt, findet Hank über Gespräche mit Manny zu sich selbst und zurück in die Welt, aus der er sich zuvor verabschieden wollte. Die Spur zurück in die Gesellschaft legt der im Wald verstreute Plastikmüll. Und zu keinem Zeitpunkt stellen sich die Protagonisten die Frage, woher all der Abfall kommt. Im Gegenteil: Je mehr Müll, umso mehr Möglichkeiten ergeben sich für Hank, seinem Kumpel Manny etwas über die Welt, aus der er stammt, zu erzählen. Der Abfall ermöglicht Geschichte und Erinnerung. Und als Zuschauer ist man angehalten sich ebenfalls durch jede Menge Müll in Form von Furz- und Peniswitzen hindurch zu kämpfen, das Gesehene zu recyceln, aufzuarbeiten, umzudenken.
„You’re trash“, resümiert der seiner Wiederverwertbarkeit zugeführte Manny an einer Stelle Hanks bisheriges Leben und verhilft ihm damit zur wichtigsten Erkenntnis. Wer sich nicht einordnet, wird aussortiert, wird zum Robinson inmitten der Zivilisation. Wenngleich man den interpretatorischen Plastikbogen nicht überspannen sollte, lässt sich durchaus aufzeigen, dass „Swiss Army Man“ damit um Fragen nach den Grundzügen einer offenen Gesellschaft kreist, die stets form- und damit veränderbar sein sollte. Die Absurditäten, die der Film aneinanderreiht und die in ihrer Ausführlichkeit stellenweise ordentlich nerven, können als Weg der Figuren zu einem Selbstbewusstsein übersetzt werden. Ihr infantiles Gebaren nimmt zugleich den Umgang des Publikums mit Tabuisierungen aufs Korn. Wenn Hank schließlich im Kleid vor Manny steht und es zu einem romantischen Moment zwischen den beiden kommt, wird endgültig klar, dass dieser Film nicht allein die Flatulenzen seiner Protagonisten im Blick hat. Es sind Fragen nach der eigenen Identität und dem Platz in der Gesellschaft, die sich in der lautstarken Wiederbelebung Mannys, der eindrucksvollen Wiederverwertung des Plastikmülls zur Veranschaulichung von Seelenlandschaften sowie Hanks Verkleidungen einen Weg an die Oberfläche suchen.
Ein grauenhafter Ohrwurm Hanks begleitet diesen Prozess zusätzlich. „Where did you come from? Where did you go?“ brummt auch Manny irgendwann einen der größten Wegwerfsongs der 90er Jahre vor sich hin. Darüber hinaus erinnert das „da, da, da“ vieler Musikstücke an den Versuch, sich Lieder auszudenken oder sich an sie zu erinnern. Abseits einer Konsens-Klassik üblicher Hollywood-Dutzendware entsteht auf diese Weise ein eigenwilliger Soundtrack, der die Suche der Figuren überzeugend widerspiegelt und irgendwo zwischen Animal Collective und heftigster Eso-Mukke oszilliert. Dass Radcliffe und Dano alle Musikstücke selbst eingesungen haben, verleiht dem Ganzen zusätzliches Gefühl, das als Gegenpol zum grotesken Geschehen auch dringend notwendig ist. Überhaupt entwickelt sich aus dem Zusammenspiel der beiden eine ernstzunehmendere Basis für die Handlung. Denn so bemüht die Versuche Daniel Radcliffes sich von Harry Potter loszusagen oftmals erscheinen mögen, es gehört schon einiges dazu, einem dauerfeuchten corpus flatus Würde zu verleihen.
Abseits aller Müllberge und erzählerischen Fettnäpfchen, in die sich „Swiss Army Man“ genüsslich stürzt, und abseits aller Zwiespältigkeit, die der Film damit provoziert, lohnt es sich ihm mit der nüchternen Offenheit zu begegnen, die ich letztlich auch meiner Tochter im Supermarkt zum Thema Recycling-Toilettenpapier vermitteln wollte: Klingt scheiße, ist aber keine drin. Also, gib ihm ’ne Chance.