Aus der Tiefe der weiten, von hohen Bergen begrenzten Landschaft kommt ein langer Güterzug und schlängelt sich durchs Bild, das in seiner bleichen Farbigkeit wie gemalt aussieht. Ruhig und konzentriert in einer statischen Einstellung auf 16-mm-Film aufgenommen, erinnert das an James Bennings experimentellen Eisenbahnfilm „RR“. Durch die dichte Wolkendecke fällt milchiges Licht, während eine gedämpfte Radiostimme von der Sonne als einem „vernebelten Fleck am Himmel“ spricht. Es ist Winter und ziemlich kalt in Livingston, einer Kleinstadt im dünn besiedelten US-Bundesstaat Montana, wo Kelly Reichardts neuer Film „Certain Women“ spielt. Wie in ihren vorherigen Arbeiten gibt es auch diesmal eine starke Wechselwirkung zwischen dem Lebensraum und seinen Bewohnern, zwischen äußerer Ferne und innerer Verlassenheit. Und erneut erzählt Reichardt in den drei Episoden ihres nach Kurzgeschichten von Maile Meloy entstandenen Films mit einem realistischen, nahezu undramatischen Gestus.
Durch Orte und Berufe nur lose in einer Art flüchtigen Berührung verbunden, folgen die Geschichten und ihre jeweiligen Epiloge nahtlos aufeinander. Dabei hat das Übergangslose, vor allem aber das Sukzessive von Kelly Reichardts Erzählkunst Methode. Denn ihr gedrosselter, umso spannendere Informationsfluss produziert keinen dramatischen Überschuss für aufgesetzte oder vorgeformte Konflikte, sondern setzt auf die geduldige Mitarbeit des involvierten Zuschauers. Dieser kann weder eine übergeordnete zentrale Perspektive übernehmen noch sich einer zielgerichteten erzählerischen Bewegung überlassen. Reichardts Interesse für Nebensächliches und genau beobachtete Details favorisieren vielmehr das Fragmentarische und die raum-zeitliche Ausdehnung zwischen dem scheinbar Unverbundenen, das seine Gestalt durch teilnehmende Beobachtung findet.
Dabei sind Kelly Reichardts Geschichten aus der Ferne unspektakulär und alltäglich. In ihnen ist eine gewisse Desillusionierung immer schon konstitutiv: Menschen mit vagen Träumen, die sich nicht verwirklichen lassen, sehnen sich nach etwas, was vermutlich nicht erreichbar ist. Die einsame Pferdepflegerin Jamie (Lily Gladstone) etwa, die in den Wintermonaten allein eine abgelegene Farm betreut, verliebt sich unglücklich in die junge Anwältin Beth (Kristen Stewart), die in dem kleinen Ort Belfry einen Kurs über Schulrecht gibt. Weil ihre Anfahrt von Livingston aber vier Stunden dauert und sie noch einen anderen Job hat, ist sie gestresst, übermüdet und frustriert, was wiederum im Kontrast steht zu Jamies gleichmäßiger, ausgeglichener Arbeitsroutine mit den Tieren. Als Beth ihren Dienst quittiert, spiegelt die räumliche Distanz Jamies emotionale Enttäuschung.
Einmal berührt sich ihre Geschichte mit derjenigen von Laura (Laura Dern), die als Anwältin in Livingston einen schwierigen Klienten betreut. Nach einem schweren Arbeitsunfall hat sich dieser durch einen Vergleich um die Möglichkeit einer Schadensersatzklage gebracht und leidet nun unter einem Gefühl der Ungerechtigkeit. Doch eigentlich ist er einsam und verloren und beansprucht deshalb über Gebühr seine Anwältin, die schließlich vermittelt, als er zum Geiselnehmer wird. Die Ohnmacht des Scheiterns führt hier geradewegs in eine Sprachlosigkeit, die auf andere Weise auch das Zusammenleben von Ginas (Michelle Williams) Kleinfamilie mit Mann und pubertierender Tochter grundiert. Diese plant einen Hausbau auf einem entlegenen Grundstück im Wald. Doch die Symbole des Zusammenhalts wirken provisorisch und äußerst fragil. Und vor allem aus der gegenüber ihrer Familie misstrauischen Gina spricht eine tiefe, von Unzufriedenheit und Entfremdung genährte Einsamkeit, die schließlich in der winterlichen Landschaft ihren Resonanzraum findet.