Zuerst sieht man Schnee und Eis und einen Hund, der darauf schlittert. Ein mächtiger Baum fällt, verlassene Häuser zerfallen, ein Güterzug bewegt sich gemächlich durchs Bild und Schwärme von Vögeln zeichnen Muster in den Himmel. Dann wieder blickt man auf Brachen, Zerstörtes, auf Reste der Zivilisation, die allmählich von einer beharrlichen Natur überwuchert wird; und auf die stumme Abfolge von Gesichtern, die ganz offensichtlich von frischer Luft genährt werden.
„Wild Plants“, der neue Film von Nicolas Humbert, ist selbst wie eine Pflanze, die im Wechsel der Jahreszeiten wächst und gedeiht und Gestalt annimmt. Sein „Saatgut“ aus Bildern, Tönen und einzelnen Interviews lässt auf ruhige und geduldige Weise die zugrunde liegenden Erfahrungen und Begegnungen zu einem spirituellen Filmpoem reifen. Darin portraitiert der deutsch-schweizerische Filmemacher Menschen, die sehr reflektiert und bewusst neue Lebensmöglichkeiten in und im Umgang mit der Natur suchen, indem sie alternative Formen des Gärtnerns und Landwirtschaftens praktizieren. Das politisch Widerständige ist ihrem Denken und Handeln ebenso implizit wie Nicolas Humberts Film, der vordergründige Statements und Analysen meidet und stattdessen subjektive Zugänge sucht und findet. Konzentriert entfaltet er seine Motive in einem filmischen Erfahrungsraum.
„Auch wir sind Pflanzen“, sagt Milo Yellow Hair, ein weiser Indianer mit großer Schönheitsliebe. „Alles in der Natur gibt uns Menschen unsere Form.“ Wie sich Natur transformiert und Leben verwandelt, lässt sich besonders gut bei der Gartenarbeit beobachten. Andrew Kemp und Kinga Osz, zwei Urban Gardeners aus Detroit beschreiben diesen endlosen Prozess von Werden und Vergehen anhand ihres Komposthaufens. Dass diese tägliche Erfahrung natürlicher Kreisläufe auch bei der Bewältigung persönlicher Traumata helfen kann, dokumentiert der Filmemacher sehr subtil im Gespräch mit Kinga Oz, die ihre Mutter früh verloren hat.
Die überwiegend jungen, von einem starken Idealismus angetriebenen Gärtner der Genfer Kooperative „Les Jardins de Cocagne“ wiederum haben in der landwirtschaftlichen Arbeit eine alternative Lebensform gefunden. Diese ermöglicht es ihnen, „langsamer zu werden“, im konkreten Tun den Geist zu beschäftigen und im direkten Kontakt mit dem Kunden die grassierende Anonymität zu überwinden. Veränderungen, die zugleich ökologisch, politisch und poetisch sind, bewirkt auch der sehr sympathische Aktivist Maurice Maggi. Nachts zieht er durchs Züricher Stadtgebiet und streut fast andächtig jene Samen aus, die für wilden Pflanzenwuchs sorgen und so das Stadtbild und vielleicht auch das Bewusstsein der Menschen verwandeln. Mit seinen konspirativen Interventionen möchte Maggie nämlich „das komplexe Ganze von der Nische her verändern.“