Während draußen ein Bagger das Land umpflügt, wird drinnen geschlafen. In einem Krankenhaus im Norden Thailands sind Soldaten untergebracht, die an einer rätselhaften Schlafkrankheit leiden. Nichts kann sie wecken. Niemand weiß, was mit ihnen geschehen ist. Vielleicht, so suggeriert es der Schwarzfilm zu Beginn des Filmes, ist alles, was sie von der Welt noch wahrnehmen, der unermüdliche Lärm des Baggers vor dem Fenster. Noch bevor die erste Einstellung die arbeitende Maschine von der Veranda des Krankenhauses zeigt, ist der Baulärm zu hören. Der Zuschauer wird quasi selbst zum schlafenden Soldaten und damit zugleich mit der Kino-Situation konfrontiert. Der Film beseelt die Soldaten mit unserer Anwesenheit und uns mit seinen Bildern oder besser gesagt Träumen. Wach- und Traumzustände fließen im Kino beständig ineinander und seit jeher bildet das Schwarz des Kinosaales und der Leinwand zu Beginn eines Filmes die Materie für diesen unsicheren Übergang. In seinem sechsten Spielfilm wandelt der thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul einmal mehr entlang dieses diffusen Grenzverlaufes, verdoppelt ihn oder lässt das eine im anderen aufgehen.
Direkt an dieser Schwelle platziert Weerasethakul seine beiden Protagonistinnen. Hausfrau Jenjira (Jenjira Pongpas Widner) wollte eigentlich nur eine alte Freundin in ihrer ehemaligen Schule, die für die Soldaten erst zum Krankenhaus umfunktioniert wurde, besuchen. Fasziniert von dem jungen Soldaten Itt (Banlop Nomloi) tritt sie jedoch als freiwillige Helferin in den Dienst des Krankenhauses und lernt die Pflegerin Keng (Jarinpattra Rueangram) kennen, der die Fähigkeit nachgesagt wird, mit den Schlafenden in Kontakt treten zu können. Sehr behutsam verschiebt der Regisseur von da an die Koordinaten seines Filmes. Zeichnet die Bilder zu Beginn eine beinahe dokumentarische Qualität (und damit einhergehend eine Verortung in der Realität) aus, lösen sich Gewissheiten dieser Art sehr bald auf. Wie die Amöbe, die in einer Einstellung plötzlich übergroß am blauen Himmel erscheint, ändern die Bilder fließend ihre Gestalt. Was gerade noch der Dialog dreier Frauen unter dem Dach einer Hütte war, entpuppt sich Sekunden später als traumartiger Moment, wenn zwei der Frauen sich als die Göttinnen zu erkennen geben, zu denen Jenjira zuvor gebetet hat.
Leitmotiv für diese bruchlosen Übergänge bilden Beatmungsgeräte, an welche die Soldaten angeschlossen werden und die mit speziellen Lampen ausgestattet sind. Diese sollen die Träume der Versehrten positiv beeinflussen, denn im Schlaf, so berichtet es Keng, seien sie Teil einer Schlacht des alten Königs, der Jahrhunderte zuvor auf dem Gelände des heutigen Krankenhauses seinen Palast stehen hatte. Nur aus diesem Grund könnten sie nicht aufwachen. Was im ersten Moment nur den gesamten Schlafsaal in sanft wechselnden Farbverläufen taucht, bemächtigt sich nach und nach des ganzen Filmes. So werden gegen Ende nächtliche Stadtansichten in die gleichen Farbverläufe gehüllt, obwohl die Straßenlaternen ein vollkommen anderes Licht erzeugen müssten. Einmal mehr wird so die Frage aufgeworfen, wer diese Bilder – ja diesen ganzen Film – sieht oder besser gesagt träumt.
Gleich den Soldaten, denen es nur für Momente, manchmal gar wenige Stunden gelingt, aus dem Schlaf zu erwachen, ihre Erlebnisse als kryptische Zeichen in Notizhefte (Traumtagebücher) zu schreiben und am normalen Leben teilzunehmen, endet der Versuch hinter die Bilder dieses Filmes zu schauen für den Zuschauer damit, zwischen ihnen gefangen zu sein. Der Wunsch nach Gewissheit führt zur Einsicht, den Ariadnefaden im Labyrinth der Traumbilder immerfort zu verlieren. Schon deshalb werden wir nie erfahren, was der Bagger aus- oder vielleicht auch vergraben will.
In seinem bisher persönlichsten Film schichtet Apichatpong Weerasethakul Traum, Realität, Gegenwart und Vergangenheit ganz beiläufig übereinander, um von einem Land zu erzählen, das unter der Herrschaft des Militärs gelähmt und wie hypnotisiert durch die Zeit treibt. „Cemetery of Splendour“ ist ein überaus politischer Film, dem die Frage nach Traum und Wirklichkeit so immanent ist wie dem Medium selbst. Denn das Kino ist der größte Traum von allen, Hort eines segensreichen Schlafes und der Wunscherfüllung. Die meditative Atmosphäre von „Cemetery of Splendour“ lädt den Zuschauer geradezu ein, sich selbst dem Träumen hinzugeben und Utopien entstehen zu lassen. Wer im Kino schläft, vertraue dem Film, heißt es. In der Mitte des Filmes geht Soldat Itt in einem seiner wachen Momente ins Kino, schläft ein und muss vom Personal aus dem Saal getragen werden. Ich selbst bin während der Vorführung von „Cemetery of Splendour“ dreimal eingeschlafen und vielleicht sogar zu einem der Soldaten geworden. Ein größeres Kompliment kann man diesem wundervollen Film wohl kaum machen.