Auch in diesem Film, der sich so anfühlt, als habe es den verunglückten Flugzeugfilm ‚Fliegende Liebende‘ (2013) nie gegeben, bleiben vor allem zwei Dinge im Gedächtnis: die beiden Gesichter der Frauen. Einmal Julieta in jung (Adriana Ugarte), einmal als Mutter und reife Frau (Emma Suárez). Die Tochter ist davongelaufen nach dem Tod des Vaters – nachdem sie ein paar Monate an einem spirituellen Rückzugsort in den Bergen verbracht hatte. Das freilich stürzt die Mutter in tiefste Verzweiflung – und als sie ein neues Tagebuch beginnt, da treten ihr die Erinnerungen an das eigene Leben wieder plastisch vor Augen.
Was folgt, ist dann natürlich „der neue Almodóvar“ (der auch wieder nach Cannes durfte): Flashbacks der Erinnerungen einer Frau zwischen Panik und verzweifelter Hoffnung, dass doch noch alles gut ausgehen möge. Und da sind wir, die Zuschauer, vollstens auf ihrer Seite. Prägnant sind die Farben, große Flächen, die Tableaus Almodóvars, für die er so berühmt ist. Fassadenmalerei schimpfen da die einen, ästhetisiertes Großvaterkino andere. Genau austariert ist das, immer gut genießbar, auch puppenstubenhaft bisweilen. Mit dickem Pinsel kräftig aufgetragen. Kein Wunder stört sich die Protagonistin an der augenflirrenden Brockattapete in der neuen Wohnung, sie ist so was ja nicht gewöhnt. Der Blick hinaus hingegen ist beruhigend, das kennt sie noch aus früheren Tagen aus ihrer Jugend. Und am Ende, da muss Julieta ihrem ästhetischen Verständnis nachgeben (oder ist es das Almodóvars?) und die Bude neu streichen. Neue Fassade. Zu den Tönen Ryuichi Sakamotos. Ambitionierter Jazz und ambitionierte Kunst, das sind die konstanten Koordinaten im bourgeoisen Leben der Altsprachen-Philologin. Einem Leben, in dem Geld scheinbar nie eine Rolle spielt. Da ist das Kind mit dem Fischer am Meer beinahe so etwas wie ein lebendig gewordener Kitschroman.
Macht aber auch nichts, denn irgendwie ist das auch ein wenig wie Amélie für Erwachsene. Ist ja das Tolle am Kino, hier kann man seiner Fantasie freien Lauf lassen. Ein bisschen schön finden darf man diese klassische Fabulierlust durchaus auch. Der neue Almodóvar (nun erschienen mit angenehm üppiger Ausstattung bei Tobis Film auf Blu-ray und DVD) ist ein schöner Film geworden. Am schönsten ist die kurze Szene mit dem Hirsch im freien Lauf. Aber mehr verrate ich nicht.