Maiks Vorfreude auf die Sommerferien hält sich in Grenzen. Mutti muss in die Entzugsklinik. Papi verduftet mit seiner hübschen „Assistentin“ auf „Geschäftsreise“. Und Klassenschwarm Tatjana hat Maik nicht zu ihrer Geburtstagsfete eingeladen. Sechs Wochen Langeweile stehen vor der Tür, an der unvermittelt Tschick, Maiks neuer Klassenkamerad, auftaucht. Auch der verschrobene und dem Alkohol zugeneigte Kauz aus den unendlichen russischen Weiten wurde nicht zu Tatjanas Geburtstag eingeladen, hat wie Maik keine Freunde, scheinbar ebenfalls keine Eltern, die sich um ihn sorgen und damit in den Ferien absolut nichts zu tun. Wie selbstverständlich hängt sich Tschick an Maik ran und alsbald fahren beide mit einem geklauten Lada Niva auf brandenburgischen Straßen der Freiheit und dem Ende der Kindheit entgegen.
Mit 30 Sachen durch die Felder rasen, Klebestreifen in der Fresse, Dolby Surround, Clayderman, Insektenkino. Regisseur Fatih Akin übersetzt die zentralen Momente des Bestsellerromans von Wolfgang Herrndorf mit einigem Geschick in die entsprechenden Bilder. Der Colorgrader spielt DJ und dreht die Farben ordentlich auf. Laut sind die Bilder also bereits ohne Musik. Die kommt von K.I.Z und Seeed als Piemontkirsche noch obendrauf. Das könnte schnell zu viel des Guten und zu wenig des Richtigen sein. Und das ist es auch. „Landkarten sind für Muschis“, belehrt Tschick zu Beginn der Reise seinen schüchternen Gefährten. Akin dreht seinen Film nicht nur mit der Landkarte, sondern gleich mit dem Navigationsgerät des deutschen Gefälligkeits-Arthouse. Der Roman dient ihm als Spickzettel. Er hängt sich an die Hauptsätze, die Nebensätze werden geflissentlich ignoriert. Aus der sicheren Routine eines versierten Filmemachers entspringt die effiziente Mittelmäßigkeit des Sachbearbeiters im Staatsbetrieb. Das ist insofern verrückt, da für Wolfgang Herrndorf, wie 2011 im Interview mit der FAZ beschrieben, Mittelmäßigkeit häufig die Quelle für die eigene Kreativität gewesen ist. Und tatsächlich gibt es an seinem „Tschick“ nichts zu schrauben, weil alles Mittelmäßige mit lässiger Geste hinweggewischt und die Geschichte um zwei jugendliche Außenseiter vom 2013 verstorbenen Autor in eine amüsant schnoddrige Sprache gegossen wurde. „Tschick“ von Fatih Akin hingegen stellt eine Umkehrbewegung dar. Er spielt so sehr auf Nummer sicher, ruht sich so sehr auf der Haltung der Vorlage aus, dass er in der Hoffnung damit wenig falsch zu machen, dort landet, wo andere mit der Arbeit erst beginnen.
Viel zu selten fährt der Film aus der eigenen Haut. Auf jeden Arsch-auf-Eimer-Witz folgen zwei, bei denen alles eine Sekunde zu lang dauert, die Montage nicht flott genug ist, die Protagonisten zu behäbig agieren. Für die Figuren so wichtige Stationen der Entwicklung, wie die Suche nach einem Supermarkt in einem Dorf, bei der Tschick und Maik auf eine etwas sonderbare Familie treffen und mit all ihren uneingelösten Vorurteilen klarkommen müssen, zergehen im Einheitsbilderbrei einer am Sujet desinteressierten Inszenierung. Die grob geschnitzten Nebenfiguren, allen voran Reisegefährtin Isa, deren übertriebenes Changieren zwischen Wahnsinn und Verletzlichkeit das Erblühen einer Blume hinter der Rotzlöffelfassade allzu offensichtlich vorbereitet, stellen diese Unlust am Gegenstand ein ums andere Mal aus. Alles sagt in der Copy-and-paste-Manier des Mainstreamkinos: Ihr wisst ja, was ich meine. Kameraflüge über weite Landschaften und Straßen wollen Abenteuerlust und Freiheit suggerieren, während die generische Filmmusik den Landschaftstotalen verzweifelt frisches Fernwehblut in die Gefäße spülen soll.
Dabei müsste es doch genau dieses Gefühl sein, das den Stoff und seine Protagonisten durch die so gar nicht fernwehtaugliche, brandenburgische Landschaft treibt: Der Nervenkitzel aufregender Grenzüberschreitung beim ersten Kuss genauso wie bei der ersten Autofahrt. Und die Frage, ob das alles wirklich gelingen kann. Davon träumen und erzählen Jugendfilme. Akins Film ist jedoch durch und durch Produkt der Filmwarenwelt und Produkte träumen nicht. Als Wolfgang Herrndorf seinen Roman „Tschick“ schrieb, dachte er an die wichtigen Bücher seiner Kindheit und Jugend, an Namen wie Huckleberry Finn, Pik und Ben oder Jack und Ralph. Ein klein wenig fragt man sich, woran Fatih Akin gedacht haben könnte, denn seiner Verfilmung des Romans fehlt dieses sehnsuchtsvoll-abscheuliche Gefühl des Erwachsenwerdens, des Risikos und der ersten großen Liebe. Diese unausgesprochene Vorahnung am Ende doch nur Bestandteil der Erwachsenenwelt zu werden und sich dem zu widersetzen.
Wie in so vielen Road Movies dieser Tage geht es auch in „Tschick“ nur darum, in der Gesellschaft anzukommen. Die Möglichkeit an ihr zu scheitern wird ausgeblendet. Damit raubt der Regisseur dem Stoff von vornherein sehr viel an Konfliktpotential und Spannung. Akin, der bereits mit „Soul Kitchen“ am Genre der Komödie elegant gescheitert ist, hat aus Herrndorfs „Tschick“ einen effizient mittelmäßigen Film geschustert, mit dem man durchaus seinen Spaß haben kann. Verlieben kann man sich in dieses Produkt allerdings nicht.