American Honey

(USA/GB 2016; Regie: Andrea Arnold )

Ökonomisierung der Freiheit

Als Rihannas „We found love (in a hopeless place)“ aus den billigen Plastikboxen im Supermarkt dröhnt, treffen sich die Blicke von Star (Sasha Lane) und Jake (Shia LeBoeuf). Prompt legt der charismatische Bengel, dessen Outfit mit Anzughose und Hosenträger selbstbewusst aus der Zeit gefallen wirkt, einen wilden Tanz auf dem Linoleumboden hin. Er springt von Kassenschalter zu Kassenschalter bis der Sicherheitsdienst erscheint und ihn und seine Clique des Ladens verweist, nicht ohne einen gewissen Eindruck auf Star gemacht zu haben. Unter der zugegebenermaßen etwas hilflos wirkenden dramaturgischen Konstruktion eines verlorenen Handys folgt Star Jake nach draußen. Als sie ihm das Telefon gibt, macht er ihr das Angebot mit ihm zu gehen. Und natürlich kann Star, die zuvor noch Mülltonnen nach Lebensmitteln durchsucht hat, sich den Reizen Jakes und denen einer Reise ins Unbekannte nicht entziehen. Dass die Reise ausgerechnet im Supermarkt ihren Ausgangspunkt nimmt, ist durchaus als Kommentar der Regisseurin Andrea Arnold auf das Genre des Roadmovies und einen dem Genre eigenen Freiheitsbegriff zu verstehen. Dieser hat sich heute vollständig von den Ideen einer Gegenkultur gelöst und wird in „American Honey“ in einen sauberen, ökonomischen Zusammenhang überführt.

Nachdem Star sich der Gruppe angeschlossen hat, macht sie Bekanntschaft mit Krystal (Riley Keough). Mit der unwiderstehlichen Ausstrahlung einer abgehalfterten Stripteasetänzerin führt sie die Außenseitertruppe – die Arnold durchweg mit Laien besetzt, was für Unmittelbarkeit und Natürlichkeit sorgt – quer durch ein suburbanes und ländliches Amerika. Es geht darum der Mittelschicht ganz altmodische Zeitschriftenabonnements unterzujubeln und abzukassieren. Wer kein Geld verdient, wird jede Woche verdroschen. Wer es sich mit der Chefin verscherzt, fliegt ganz aus der Gruppe. Der Freiheitsdrang, der jeden erst in diese Gemeinschaft geführt hat, wird, weil er ohne jeden Anflug von Revolte auskommt, durch einen sauberen Arbeitsfetisch ersetzt. Sinnlosjob und Self-Marketing werden zu unhinterfragten Heilsversprechen dieses umherfahrenden Unternehmens und „Born to be wild“ wird zu „I make my own money, so I spend it how I like“. Es ist der Schlachtruf dieser zwischen träumerischer Freiheit und Bedeutungslosigkeit agierenden Jugendlichen auf ihrem Weg durch ein kaputtes Land, das zwischen Reichtum und Armut nicht mehr vermitteln kann.

Die Straße und das dem Genre so immanente Gefühl des Unterwegsseins, das in seiner Ziellosigkeit einen absoluten und damit nicht selten zerstörerischen Freiheitsanspruch erhebt, tritt in den Hintergrund. Gefahren wird, um in den nächsten Ort, zum nächsten dicken Geschäft gelangen zu können. Die Regisseurin zeigt die Reise entsprechend häufig aus dem Inneren des Kleinbusses, den die Gruppe besitzt. In diesen Innenansichten verliert Amerika nicht nur viel von seiner Weite. Die Möglichkeiten dieses Landes implodieren geradezu unter den beinahe im quadratischen Format von 1,33:1 aufgenommenen Bildern des Kameramannes Robbie Ryan. Die Endlosigkeit amerikanischer Highways ist ein Trugbild, das längst mit der Realität eines Landes kollidiert, das unter dem Eindruck von Terrorangriffen, der Bankenkrise und der NSA-Affäre seinen Freiheitsbegriff und das damit verbundene Selbstwertgefühl frisiert hat. Und obwohl es Grund genug gäbe, vor dieser Gesellschaft zu fliehen oder gegen sie aufzubegehren, scheinen Road Movies, in denen Helden wie Bonnie und Clyde oder Mallory und Mickey aggressiv nach Freiheit strebten, zu verschwinden.

Wie die Straße wird auch das Auto in „American Honey“ und vielen aktuellen Road Movies seiner symbolischer Funktion beraubt. Der weiße Kleinbus wird als Fortbewegungsmittel eingesetzt, das seine Insassen vom Hotel zur Arbeit und wieder zurück ins Hotel fährt. Es erinnert eher an die prekären Verhältnisse von mexikanischen Einwanderern, die morgens am Straßenrand eingesammelt werden, um dann zu Baustellen gefahren zu werden als an ein Gefährt, mit dem sich Unbekanntes entdecken ließe.

Nur an einer Stelle flammt das ursprüngliche Gefühl einer „Counterculture“ auf Rädern noch einmal auf. Nachdem Star und Jake einigen Texanern gewaltsam Geld abgenommen haben, fliehen sie in einem gestohlenen Cabrio. Zum ersten und einzigen Mal kommt es zu Augenblicken vollkommener Freiheit die keiner Worte bedarf. Star geht kurz auf im Universum endloser Möglichkeiten, die Straße und ziellose Bewegung implizieren. Es ist bezeichnend, dass Arnold ihre Protagonisten für diesen einen Moment in ein Auto einer längst vergangenen Epoche steigen lässt. Es scheint beinahe so, als könnte das Genre des Road Movies mit all seinen jugendlichen Idealismen und Wagnissen nur noch retrospektiv existieren, so sehr verweigert es sich fahrbaren Untersätzen mit Baujahr nach der Jahrtausendwende. In vielen Genrevertretern werden Fahrzeuge neueren Datums sehr früh entweder zu Schrott gefahren, kommentarlos gewechselt oder wie in „American Honey“ als fahrbares Unternehmen verwendet und ihres ursprünglich freiheitlichen Charakters beraubt.

Es habe sie noch nie jemand nach ihren Träumen gefragt, resümiert Star als doch jemand aus heiterem Himmel danach fragt. Und tatsächlich ist kaum greifbar, was die Figuren wollen. Pflichtbewusst kramen sie in ihren Erinnerungen nach den Überresten des American Dream und bringen das Auswendiggelernte hervor. In „American Honey“ geht es nicht mehr um eine Flucht und irgendwelche Freiheitsideale, sondern darum anzukommen, Teil einer Gemeinschaft zu sein, Sicherheit und Geborgenheit zu erfahren. Andrea Arnold zeigt in „American Honey“ somit zum einen ein aus dem Gleichgewicht geratenes Amerika, das die offensichtlichen Folgen seiner Wirtschaftspolitik noch immer nicht erkennen will. Zum anderen beweist sie nebenbei großes Gespür für die Veränderungen eines uramerikanischen Genres in Zeiten einer Ökonomisierung auch der letzten subversiven, sozialen oder freiheitlichen Ideen.

Hier findet sich eine weitere Kritik zu ‚American Honey‘.

Benotung des Films :

Ricardo Brunn
American Honey
(American Honey)
USA, Großbritannien 2016 - 167 min.
Regie: Andrea Arnold - Drehbuch: Andrea Arnold - Produktion: Thomas Benski, Lars Knudsen, Lucas Ochoa, Pouya Shahbazian, Alice Weinberg, Jay Van Hoy - Bildgestaltung: Robbie Ryan - Montage: Joe Bini - Verleih: Universal Pictures International - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Sasha Lane, Shia LaBeouf, Riley Keough
Kinostart (D): 13.10.2016

DVD-Starttermin (D): 23.02.2017

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt3721936/
Foto: © Universal Pictures International