Im Oktober 2015 hat Mark Zuckerberg bekannt gegeben, dass Facebook den Like-Button um fünf Emojis erweitern wolle. Die Nutzer hätten sich schon seit längerem eine größere Bandbreite in der Bewertung von Katzenvideos, Urlaubsfotos und lebensbejahender Kalendersprüche in Serifenschrift auf zarten Sonnenuntergangsmotiven gewünscht. Der Traum von einem Dis-Like-Button bleibt damit zwar nach wie vor unerfüllt, Facebook liefert mit seinem Vorstoß jedoch einen Beleg für das in den vergangenen Jahren gesteigerte Interesse an menschlichen Emotionen im Silicon Valley. Es ist also außerordentlich spannend, wenn etwa zeitgleich zu Facebooks symbolträchtiger Ankündigung der neue Animationsfilm „Alles steht Kopf“ aus dem Hause Pixar erscheint, in dem als knuffige, dreidimensionale Figuren gezeichnete Emotionen das Verhalten eines Kindes steuern und dessen Erinnerungen verwalten.
Schon kurz nach Rileys Geburt übernimmt Freude als erste Emotion das Ruder der Schaltzentrale im Kopf des Mädchens. Nur Augenblicke später gesellt sich Kummer hinzu, schließlich noch Angst, Wut sowie Ekel, und alle wollen sie einmal die Regler am Kontrollfeld bedienen. Freude bemüht sich eifrig darum das Kommando zu behalten, denn keine Emotion ist ihrer Meinung nach für die Entwicklung Rileys wichtiger als sie selbst. Als Riley elf Jahre alt ist, muss sie mit ihren Eltern von Minnesota nach San Francisco ziehen. In dieser Situation gibt es für die fünf Freunde in Rileys Kopf ordentlich zu tun. Zu allem Überfluss befördern sich Freude und Kummer aus Versehen ins riesige Labyrinth des Langzeitgedächtnisses. Plötzlich sind Wut, Angst und Ekel auf sich allein gestellt. Mittels parallel geführter Erzählstränge kann der Zuschauer nun miterleben, was die emotionalen Querschläger in Rileys Innerem außen bewirken.
Der Zielgruppe entsprechend werden neuronale Abläufe in „Alles steht Kopf“ sehr vereinfacht dargestellt und das Figureninventar mit wenigen, dafür eindeutigen Attributen ausgestattet. Wut platzt als männlicher, feuerroter Klotz des Öfteren der Hemdkragen. Kummer, ein dickes, blaues Mädchen mit Brille, schlurft von einem Fettnäpfchen geradewegs ins nächste. Ekel schwirrt mit der Grazie einer Schulhofschönheit im knallgrünen Minirock durch die Gegend und so weiter und so fort. Das sorgt aufgrund der entstehenden Gegensätze und des beständigen Wechsels von Innen- und Außenperspektive für urkomische Situationen und rasantes Tempo. Doch die quietschbunte Bilderwelt von „Alles steht Kopf“ umweht ein bizarrer Reduktionismus, in dem die als Dauerslapstick verpackte Steuerung von und durch Emotionen über ein Schaltpult und Fragen zum Determinismus menschlichen Handelns auf irritierende Weise zusammenfallen.
Der englische Filmtitel „Inside Out“ ist nicht nur deshalb viel passender als der deutsche, weil die Handlungen Rileys als Konsequenzen der Steuerung drinnen erzählt werden. Das Innerste nach außen zu kehren bedeutet in der Psychopolitik des 21. Jahrhunderts Gedanken und Emotionen als Ressourcen zu begreifen und zu monetarisieren. Kaufentscheidungen, welche unter dem Begriff der Neuroökonomie erforscht werden, knüpfen Menschen immer häufiger an moralische Aspekte. Es geht immer seltener um das Produkt an sich, als um die Emotionen, die es auslöst. Sei es das Elektroauto, der Fairtradekaffee oder die CO2-Kompensation für Flugreisen. So fußt beispielsweise auch die gesamte Share Economy auf der Ausbeutung des Sozialen und damit der Emotionen. Außerdem spielen Emotionen und deren computergestützte Erfassung in der Debatte um die Erschaffung künstlicher Intelligenz eine wesentliche Rolle. Und natürlich genügt der Kommunikationsgesellschaft die Rationalität des viel beschworenen homo oeconomicus nicht mehr.
Dass die Rede fast ausschließlich von Emotion und nie vom Gefühl ist, liegt an der intentionalen Struktur, die die Emotion grundlegend vom unbestimmteren Gefühl unterscheidet. Das Bauchgefühl lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken, Wut und Trauer bekommen einfach einen Button mit Emoji. Ein Teil unserer Persönlichkeit verschwindet hinter den Daten gerade so, als würde unsere Gefühlswelt zahlreiche Nuancen wie beispielsweise den dramatischen Unterschied zwischen Wut und Zorn oder Angst und Furcht nicht beinhalten. Algorithmen bedingen eine Reduktion auf wenige eindeutige Parameter. Alles was sich einer Berechnung und damit Quantifizierung entzieht, existiert dann nicht mehr. Auch „Alles steht Kopf“ stürzt sich mit Freude auf genau fünf Emotionen und lässt den Gefühlen keinen Raum mehr. In den Momenten, da sich ein Gefühl, das ein anderes Verhältnis zur Zeit bedingt, einstellen könnte, hastet die Erzählung weiter zum nächsten emotionalen Höhepunkt. Gefühl ist etwas Soziales. Das Spiel mit den Emotionen ist antisozial.
Es ist unter diesem Blickpunkt beachtenswert, dass zeitgleich zum gesteigerten Interesse der Industrie an den menschlichen Emotionen diese immer häufiger außer Kontrolle zu geraten scheinen und den öffentlichen Diskurs bestimmen. Wutbürger, Gutmensch und Lügenpresse sind die vorläufigen Ausdrücke dieses Zustandes dauerhafter Erregung. Und längst hat sich die „Diktatur der Emotionen“ (Byung-Chul Han) in den Sozialen Medien in Form von Shitstorms und Hatespeech, die sich im digitalen Echoraum immer schneller verbreiten, verselbstständigt, radikalisiert und den wissens- und faktenfeindlichen Argumentationen der Neuen Rechten den Weg bereitet. Wer dieser Tage im Kampf um die Gunst der Wähler nicht auf pure Emotionen setzt, verliert.
„Alles steht Kopf“ suggeriert, ohne jemals etwas anderes auch nur anzudeuten, dass wir ausschließlich von unseren Emotionen getrieben werden. Der Film geht sogar noch einen Schritt weiter und schaut an einer Stelle in die Köpfe einiger Tiere. Auch dort regieren die Emotionen. Diese Gleichsetzung von Mensch und Tier – die sich in der hohen Anzahl von Animationsfilmen, in denen sprechende Tiere ihre infantilen Abenteuer erleben, fortsetzt – befördert den Grundsatz der Neuroökonomie und des Silicon Valleys, dass der Mensch von neurochemischen Prozessen programmiert wird und es folglich keinen freien Willen gibt. Wenngleich sich nun durchaus vortrefflich darüber streiten ließe, ob es so etwas wie einen freien Willen geben kann, darf die radikale Reduktion und damit einhergehende Determinierung menschlichen Handelns sicher keine Antwort auf diese Frage sein. Sie wäre einfach zu absurd angesichts der Vielfalt unseres Daseins. Einer Vielfalt, die durch Quantifizierung, Massenkonsum, Monopolisierungen und vieles mehr in Gefahr ist. „Alles steht Kopf“ wird derweil in der Presse einhellig gefeiert, und die Rechnung geht für Disney wieder einmal auf. Souverän ist heute, wer über die Emotionen verfügt.